Wilde Saat
an der dem Kamin gegenüberliegenden Wand hing. Die Einric h tung des Hauses war zum Teil englisch, zum Teil hollä n disch, zum Teil Igbo. Anyanwu hatte irdene Töpfe gefe r tigt, äh n lich denen, die sie früher auf den Märkten ihrer Heimat verkaufte. Außerdem war sie eine Meisterin im Flechten von Körben. Ihre Arbeiten waren schön und pra k tisch zugleich und fanden auch in Wheatley großen An k lang. Hier in ihrem Haus mit dem holländischen Kamin und den hohen thronartigen Wandsitzen riefen sie die Eri n nerung an Afrika wach. An jenes Land, das sie niemals wiedersehen würde. Anyanwu lehnte es ab, wie die hollä n dischen Fra u en den Fußboden mit Sand zu bestreuen. Sand war dazu da, aus dem Haus gefegt und nicht hereingebracht zu werden. Sie war viel häuslicher und ordentlicher als die englischen Frauen, wie Doro wußte. Doch die Holländeri n nen schüttelten den Kopf über ihre »unordentliche« Hau s haltsführung. Sie zerrissen sich die Mäuler und waren vo l ler B e dauern für Isaak. Tatsächlich bedauerte ihn beinahe jede Frau in der Stadt, so daß er seinen wertvollen Samen übe r allhin hätte aussäen können. Nur Doro beschäftigte das Verlangen der Frauen noch stärker – und nur Doro machte es sich zunutze. Denn er brauchte weder auf eifersüchtige Ehemänner noch auf eine eifersüchtige Ehefrau Rücksicht zu nehmen.
Anyanwus Bildnis war ein außergewöhnliches Kuns t werk. Zweifellos hatte ihre Schönheit den ho l ländischen Maler tief beeindruckt. Er hatte sie in ein leuchtendes Blau gekleidet, das ihre dunkle Hautfarbe wundervoll zur Wi r kung brachte. Auch die Kopfbedeckung bestand aus blauem Tuch. In ihren Armen trug sie ein Kind, ihren ers t geb o renen Sohn Isaak, der – nicht älter als einige Monate – ebe n falls in dieses leuchtende Blau gehüllt war. Das Kind schaute den B e trachter aus großen, ausdrucksvollen Augen an. Ein ungewöhnlich hübscher Junge, was man normale r weise von Babys in diesem Alter nicht sagen konnte. Brachte Anyanwu mit Absicht nur gutaussehende Kinder zur Welt? Eins wie das andere waren sie ausgesprochene Schönheiten, obwohl Doro einige g e zeugt hatte, als er in häßlichen Körpern lebte.
Das Bild war die Darstellung einer schwarzen M a donna mit Kind, und Anyanwus überklare, unschu l dig wirkende Augen blickten den Betrachter daraus an. Keinem Fremden entging die Ähnlichkeit der Madonna mit der Frau des Hauses, und alle blickten bewundernd auf die immer noch schöne Anyanwu, die um Isaaks willen höchsten Wert auf ihr Aussehen legte. Gleichzeitig war sie darauf bedacht, nicht jünger zu erscheinen als er. Manch einen gab es j e doch, der sich aufs tiefste verletzt fühlte bei der Vorste l lung, jemand habe den Versuch unternommen, zwei schwarze Heiden zum Vorbild für die »Madonna mit Kind« zu nehmen. Denn die Rassendiskriminierung nahm in den Kolonien immer beängstigendere Fo r men an – sogar in dieser ehemals holländischen K o lonie, in der man diese Dinge lange Zeit über mit großer Toleranz behandelt hatte. Zu Beginn des Ja h res hatten in New York City die ersten Massenhi n richtungen stattgefunden. In der Stadt hatten Brandstifter ein Feuer gelegt, und die Weißen hatten en t schieden, daß die Täter unter den Schwarzen zu s u chen seien. Ohne die geringsten Beweise wurden dreißig Schwarze getötet – dreizehn von ihnen auf dem Scheite r haufen verbrannt. Doro machte sich Sorgen um seine Stadt am Oberlauf des Flusses. Von all seinen Siedlungen im Bereich der Kolonien besaßen nur die Schwarzen in Wheatley nicht den Schutz mächtiger und einflußreicher weißer Herren. Wie lange noch würde es dauern, bis Weiße von anderswo auch hier die passenden Opfer für ihren Schwa r zenhaß entdeckten.
Doro hob den Kopf. Die Frau auf dem Gemälde schien ihn anzublicken. Er sollte wahrhaftig Besseres zu tun h a ben, als sich Gedanken um Anyanwu und ihre Tochter Ruth, genannt Nweke, zu machen. Er hätte dieser Regung nicht nachgeben und nicht nach Wheatley kommen dürfen. Es war gut, Isaak wiede r zusehen – aber diese Frau …
»Sie war schon die richtige Frau für mich«, unterbrach Isaak Doros Gedankengänge. »Ich erinnere mich, daß sie mir vor unserer Heirat einmal das G e genteil sagte, aber das war eins der wenigen Male, wo sie Unrecht hatte.«
»Ich möchte sie sehen«, sagte Doro unvermittelt. »Und ich möchte Nweke sehen. Ich glaube, das Mädchen steht dem Zeitpunkt des Übergangs näher, als du annimmst.«
»Glaubst du
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