Wilde Saat
für seine Rücksichtnahme in keiner Weise dankte. Nun, Anyanwu war drauf und dran, ihren Platz bei Doro an ihre Tochter zu verlieren. Alles, was er von der Mutter zu erreichen wünschte, die Tochter würde es ihm gewähren. Nweke war keine Wildsaat, die ein langes Leben in der Freiheit ve r dorben hatte. Die Tochter gehörte ihm – vom Augenblick der Empfängnis an. Sie war sein Eigentum, als hätte er ihr sein Brandzeichen ins Fleisch gedrückt. Sie sah sich auch selbst als sein Eigentum. Und das war bei allen seinen Ki n dern so. Sie bejahten seine Autorität. Sie schienen die G e wißheit nötig zu haben, daß es jemanden gab, dessen Fü h rung sie sich anvertrauen konnten.
»Doro!« sagte das Mädchen leise.
Er riß ihr das rote Tuch vom Kopf, das sie umgebu n den hatte, und enthüllte ihr volles dunkles Haar. Es war glatter als das ihres Vaters, aber nicht so glatt wie das ihrer Mu t ter. Nweke trug es aus der Stirn gekämmt und im Nacken zu einem schweren Knoten gebunden. Nur eine einzige Locke fiel verführerisch auf die sanft gerundete Schulter. Er widerstand dem Drang, die Nadeln zu entfernen und das Haar zu l ö sen. Er und das Mädchen würden nur wenig Zeit f ü reinander haben. Und Anyanwu sollte nicht schon am Aussehen des Mädchens erkennen, was gesch e hen war. Anyanwu würde es sowieso herausfinden – wahrscheinlich sehr bald. Doro wollte nicht, daß Nweke Anyanwus Groll auf sich zog.
Niemand verstand es so gut wie Anyanwu, den Le u ten, die vor einem Übergang standen, zu helfen. Nweke würde ihre Mutter in der Zukunft noch bra u chen, was immer sie auch in diesem Augenblick brauchen mochte.
Er hob das Mädchen auf seine Arme und trug es zu e i nem Nischenbett in einem der Kinderschlafzimmer. Er wußte nicht, ob es ihr Bett war, es kümmerte ihn auch nicht. Er streifte ihr die Kleider ab, stieß ihre Hände weg, als sie ihm dabei helfen wollte. Er lachte leise, als sie fes t stellte, daß er allerhand Übung im Entkleiden von Frauen besaß. Sie hatte keine Ahnung, wie man einem Mann aus den Kleidern half, aber trotzdem versuchte sie ihm zu he l fen.
Und sie war süß und zärtlich, wie er es erwartet hatte. Und sie war noch Jungfrau. Sogar in Wheatley blieben die jungen Mädchen unberührt – für ihren Ehemann oder für D o ro. Sie war bereit für ihn. Sie spürte den Schmerz der ersten Begegnung, aber es schien ihr nichts auszumachen.
»Schöner als mit David und Melanie«, flüsterte sie und preßte sich an ihn, als fürchtete sie, er könne sie verlassen.
Nweke und Doro saßen in der Küche bei einem Glas Bier und rösteten Mais, als Isaak und Anyanwu k a men. Das Bett war wieder in Ordnung gebracht. Nweke trug wieder Kle i der und Kopftuch, und nichts an ihrer Ersche i nung verriet, was geschehen war. »Ihr Groll soll sich über mir entladen«, hatte Doro gesagt, »nicht über dir. Überlaß mir das R e den.«
»Ich weiß nicht, was ich von ihr denken soll«, erw i derte Nweke. »Meine Schwestern tuscheln, daß wir dich wegen ihr niemals haben könnten. Oft habe ich sie gehaßt. Ich glaubte, sie hätte dich für sich selbst vorbehalten.«
»So, glaubst du das?«
»Nein.« Unsicher blickte sie ihn an. »Ich bin jetzt eher der Meinung, sie versucht uns vor dir zu b e schützen. Sie ist davon überzeugt, daß das nötig ist.« Nweke lief ein Scha u der über den Rücken. »Was wird sie jetzt von mir de n ken?«
Doro wußte es nicht, aber er würde so lange in Wheatley bleiben, bis er es erfahren hatte. Bis er sicher war, daß Anyanwu ihrer Tochter kein Leid z u fügte.
»Vielleicht wird sie es gar nicht herausfinden«, meinte das Mädchen hoffnungsvoll.
Sie waren zur Küche gegangen, und Nweke hatte Doro ein Bier vorgesetzt. Doro versuchte Nweke aufzumuntern. Er sah, wie verkrampft sie war und welche Angst sie vor dem Augenblick hatte, da sie ihrer Mutter gegenübertreten mu ß te. Als Isaak und Anyanwu hereinkamen, schien das Mä d chen sich tatsächlich ein wenig gefangen zu haben, es vermied jedoch, seiner Mutter in die Augen zu schauen. Reglos starrte es in das halbleere Bierglas, das vor ihm stand.
Doro sah, wie Anyanwu die Stirn runzelte, sah, wie sie zu Nweke trat und ihr die Finger unter das schmale Kinn legte. Mit sanfter Gewalt hob sie Nwekes Kopf zu sich e m por, bis sie in die angstvo l len Augen des Mädchens blickte.
»Geht es dir gut?« fragte sie leise in ihrer Mutterspr a che. Anyanwu sprach inzwischen ein ausgezeichnetes En g lisch. Fast ebenso gut beherrschte
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