Wilde Saat
sie die holländische Sprache und konnte sich in einigen Indianerdialekten ve r ständigen. Zu Hause jedoch u n terhielt sie sich mit ihren Kindern in der Sprache ihrer afrikanischen Heimat – so, als ob sie di e se nie verlassen hätte. Sie würde sich nie einen europ ä ischen Namen zulegen oder ihre Kinder bei ihren europ ä ischen Namen rufen – obwohl sie sich auf Doros Drängen hin dazu herabgelassen hatte, ihnen solche Namen zu g e ben. Anyanwus Kinder verstanden und sprachen das Afrikanische ebenso gut wie ihre Mu t ter. Sogar Isaak war nach all den Ehejahren recht vertraut damit. Ohne Zweifel hörte er genau wie Doro und Nweke die Sorge und die Spannung in An y anwus leiser Frage.
Nweke gab keine Antwort. Ängstlich blickte sie zu Doro hinüber. Anyanwu folgte Nwekes Blick, und in ihre gr o ßen, klaren, leuchtenden Kinderaugen trat der Ausdruck einer ungewohnten Wildheit. Sie sagte kein Wort. Nur ihr Blick wurde immer durchdri n gender. Doro hielt diesem Blick stand, bis Anyanwu den Kopf abwandte und die A u gen auf Nweke ric h tete.
»Nweke, meine Kleine, geht es dir gut?« fragte sie drä n gend.
Irgend etwas geschah mit Nweke. Sie nahm Anya n wus Hände zwischen die ihren und hielt sie einen Moment lang lächelnd fest. Schließlich lachte sie laut auf – ein unb e kümmertes Kinderlachen, ohne eine Spur von Falschheit oder Schadenfreude. »Mir geht es gut«, antwortete sie. »Bis zu diesem Auge n blick wußte ich gar nicht, wie gut. Es ist schon so lange her, daß es keine Stimmen mehr gibt, nichts, das mich beunruhigt und peinigt.« Die Erleicht e rung ließ sie ihre Furcht vergessen. Sie sah Anyanwu in die Augen, und ihr Blick war angefüllt mit dem Wunder des neuentdeckten Friedens.
Sekundenlang schloß Anyanwu die Augen und sog tief und zitternd die Luft ein.
»Es geht ihr gut«, sagte Isaak von seinem Platz am Tisch. »Das ist genug.«
Anyanwu sah ihn an. Doro konnte nicht erkennen, was die beiden sich durch ihre Blicke mitteilten. Aber nach e i ner Weile wiederholte Isaak: »Das ist genug.«
Und dabei sollte es auch bleiben. Der zweiundzwanzi g jährige Sohn Peter, Chuckwuka genannt – Gott ist allmäc h tig –, betrat den Raum, das Essen wurde au f getragen.
Doro aß langsam. Er erinnerte sich daran, wie er aufg e lacht hatte, als er den Igbo-Namen des Jungen zum erste n mal hörte. Er hatte Anyanwu gefragt, woher ihre plötzliche Frömmigkeit komme. Chuckwuka war ein sehr gebräuchl i cher Name in ihrem Heima t land, aber es war kein Name, den er bei dem Sohn einer Frau erwartete, die von Gott oder Gottheiten nichts hielt und die sich lieber auf ihre e i gene Kraft verließ. Wie vorausgesehen, schwieg Anyanwu auf seine Frage. Es dauerte eine geraume Zeit, bis Doro auf die Idee kam, daß dieser Name als ein Zauber gedacht war – als ein armseliger Versuch, den Ju n gen vor ihm, Doro, zu schützen. Woher sollte Anyanwus plötzliche Frömmigkeit schon kommen? W o her schon, wenn nicht aus ihrer Furcht vor Doro. Doro lächelte in sich hinein.
Doch sein Lächeln verschwand, als Nwekes Frieden plötzlich ein Ende fand. Das Mädchen stieß einen Schrei aus – einen langanhaltenden, gepreßten, entsetzlichen Schrei, der Doro an das Geräusch zerreißenden Stoffes erinnerte. Die Schüssel mit dem gerösteten Mais, den Nweke zum Tisch brachte, entglitt ihren Händen. Bewuß t los brach das Mä d chen zusammen.
VIII
In seltsam verbogener Haltung, immer noch bewuß t los, lag Nweke mitten auf Isaaks und Anyanwus Ehebett. Anyanwu fand, daß die Pflege leichter für sie war, wenn Nweke in einem nur mit Vorhängen versehenen Bett lag. Ohne auf Doros Gegenwart zu achten, entkleidete Anyanwu das Mädchen und en t fernte die Nadeln aus ihrem Haar. Nweke wirkte nun noch schmaler und zerbrechlicher als sonst, sie sah verloren aus in den tiefen, weichen Kissen. Fast konnte man glauben, ein Kind vor sich zu haben. Doro verspürte einen Augenblick des Unbehagens, ja sogar der Sorge um sie. Er erinnerte sich an ihr unbekümmertes L a chen vor wenigen Minuten und fragte sich, ob er es jemals wieder hören würde.
»Das ist der Obergang«, erklärte Anyanwu mit au s drucksloser Stimme.
Er blickte sie an. Sie stand neben dem Bett und sah e r schreckt und voller Unruhe auf das Mädchen ni e der. Ihre sonstige Feindseligkeit hatte sie zurückgestellt – aber wir k lich nur zurückgestellt. Doro kannte sie gut genug, um zu wissen, daß sie nichts verge s sen hatte.
»Bist du sicher?« fragte er. »Sie
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