Wilde Saat
weggenommen.«
»Es sieht nicht nur so aus, es ist so. Aus diesem Grund bin ich dabei, sie an einen neuen Ort zu bri n gen. Dort wird es leichter für mich sein, sie zu b e schützen.«
»Ich habe mich bisher immer noch selbst b e schützt.«
»Ich weiß. Du wirst sehr nützlich für mich sein. Ich nehme an, du bist in der Lage, andere genauso gut zu b e schützen wie dich selbst.«
»Soll ich mein Volk verlassen, nur um dir zu helfen, das deine zu beschützen?«
»Du sollst dein Volk verlassen, damit du endlich unter Menschen leben kannst, die von der gle i chen Art sind wie du.«
»Zum Beispiel mit einem, der Männer tötet und in ihre Haut schlüpft? Wir sind nicht von der gleichen Art, Doro.«
Doro stieß einen Seufzer aus. Er blickte hinüber zu i h rem Haus, einem kleinen, quaderförmigen Gebäude mit einem tief heruntergezogenen Strohdach. Die Wände b e standen aus den gleichen roten Lehmziegeln, aus denen die Hofmauer errichtet war. Vage kam ihm der Geda n ke, ob es sich dabei um ein äh n liches Material handelte, wie es die Indianer im Südwesten des nordamerikanischen Kontinents für ihre Beha u sungen verwendeten. Doch dann galt seine Aufmerksamkeit wieder dem Haus Anyanwus, und er fra g te sich, ob es darin eine Lagerstatt, Wa s ser und etwas zu essen für ihn geben würde. Er war zu müde und zu hungrig, um sich mit der Frau noch lange herumzustreifen.
»Gib mir zu essen, Anyanwu«, sagte er. »Dann werde ich die Kraft haben, dich von hier wegz u locken.«
Sie blickte ihn entsetzt an, dann lachte sie gepreßt. Sie erweckte den Eindruck in ihm, als sei es ihr nicht recht, wenn er bliebe und bei ihr aß. Seine Gegenwart schien sie zu b e unruhigen. Irgendwie glaubte sie seinen Worten, und sie fürchtete, er könne sie tatsächlich gegen ihren Willen von hier fortlocken. Sie wollte, daß er weiterzog – jede n falls wollte sie es mit einem Teil ihrer selbst. Der andere Teil dagegen war voller Neugier auf das, was geschehen würde, wenn sie ihr Heim verließ und sich diesem Fremden a n schloß. Ihr Geist war zu lebendig und aufgeschlossen, um sich nicht dann und wann in ein Abenteuer zu begeben.
»Wenigstens ein paar süße Kartoffeln, Anya n wu!« sagte er lächelnd. »Ich habe den ganzen Tag noch keinen Bissen zu mir genommen.« Er wußte, sie würde ihn bewirten.
Wortlos ging sie zu einem der Nebengebäude und kam zurück mit zwei großen Jamsknollen. Sie führte ihn in die Küche und reichte ihm ein Rehfell, auf das er sich setzen konnte, da er nichts anderes trug als einen Lendenschurz. Noch immer in der Gestalt e i nes jungen Mannes trank sie etwas Milch der Kol a nuß und einen Schluck Palmwein mit ihm. Dann begann sie mit der Zubereitung des Essens. A u ßer den süßen Ka r toffeln hatte sie Gemüse, geräucherten Fisch und Palmöl. Zwischen drei Ziegeln, die ihr als Herd dienten, entzündete sie ein Holzkohlenfeuer und setzte e i nen Tontopf mit Wasser auf. Während das Wasser zu k o chen begann, schälte sie die Kartoffeln. Sie würde sie kleinschneiden und zu einem Brei verkochen. Vie l leicht machte sie aus dem Gemüse, dem Öl und dem Fisch eine Soße, aber das würde noch ein i ge Zeit dauern.
»Wie ist das?« fragte sie ihn während der Arbeit. »Stiehlst du dir die Nahrung, wenn du Hunger hast?«
»Ja«, erwiderte er. Er stahl mehr als nur Na h rung. Wenn keine Menschen, die er kannte, in der Nähe waren, oder wenn er Menschen, die er kannte, nicht willkommen war, nahm er sich deren kraftvolle, ju n ge Körper. Niemand, kein einzelner und keine Gru p pe, konnte ihn daran hindern. Es konnte ihn übe r haupt niemand daran hindern, das zu tun, wozu er sich entschlossen hatte.
»Ein Dieb«, sagte Anyanwu voller Abscheu, der ihm a l le r dings nicht ganz echt vorkam. »Du stiehlst, du mordest. Was machst du sonst noch alles?«
»Ich schaffe ein Volk«, antwortete er ruhig. »Ich suche das Land für die Menschen, die anders sind als andere. Ein wenig anders – oder sehr viel anders. Ich wähle sie aus, gli e dere sie in Gruppen und fange an, aus ihnen ein neues, starkes Volk zu schaffen.«
Erstaunt sah sie ihn an. »Und sie lassen dich gewä h ren? Wehren sich nicht dagegen, wenn du sie fortholst aus i h rem Volk, aus ihren Fam i lien?«
»Manche bringen ihre Familien mit. Viele haben keine Familie. Ihr Anderssein macht sie zu Au s gestoßenen. Sie sind froh, mir folgen zu kö n nen.«
»Immer?«
»Meistens.«
»Und was ist, wenn jemand sich weigert, dir zu folgen? Was
Weitere Kostenlose Bücher