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Wilde Schafsjagd

Wilde Schafsjagd

Titel: Wilde Schafsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Wohnzimmer. Vielmehr hinter ihm . Das Wohnzimmer hinter mir war dasselbe wie das hinter ihm. Das Sofa, der Teppich, die Uhr, die Bilder, der Bücherschrank, alles gleich. Ein geschmackloses Wohnzimmer, wenn auch nicht ganz ungemütlich. Aber irgendetwas stimmte nicht. Vielmehr, ich hatte den Eindruck, dass irgendetwas nicht stimmte.
    Ich holte ein neues Löwenbräu aus dem Kühlschrank; auf dem Rückweg, die blaue Dose in der Hand, sah ich mir noch einmal das Spiegelwohnzimmer an, dann das richtige. Der Schafsmann saß nach wie vor auf dem Sofa und schaute nach draußen auf den Schnee.
    Ich suchte den Schafsmann im Spiegel. Er war nicht da. Das Wohnzimmer war leer, auf dem Sofa saß niemand. In der Spiegelwelt war ich ganz allein. Mich packte das kalte Grausen.
    * * *
    »Du siehst blass aus«, sagte der Schafsmann.
    Ich nahm ohne ein Wort Platz, riss das Bier auf und trank einen Schluck.
    »Du hast dich bestimmt erkältet. Man muss sich an die Kälte hier erst gewöhnen. Die Luft ist auch feucht. Geh heute lieber früh zu Bett.«
    »Heute nicht«, sagte ich. »Heute geh ich gar nicht ins Bett. Ich warte hier auf meinen Freund.«
    »Kommt er denn heute?«
    »Er kommt«, sagte ich. »Er kommt heute Abend um zehn.«
    Der Schafsmann sah mich wortlos an. Seine maskierten Augen verrieten nicht die geringste Emotion.
    »Ich packe heute Abend, morgen bin ich weg. Sag ihm das, wenn du ihn siehst. Ich glaube allerdings nicht, dass das nötig ist.«
    Der Schafsmann nickte. »Wird einsam sein ohne dich. Naja, was sein muss, muss sein. Übrigens, kann ich mir ein Käse-Sandwich mitnehmen?«
    »Sicher.«
    Der Schafsmann wickelte eins in eine Papierserviette, steckte es in die Tasche und zog seine Handschuhe an.
    »Hoffentlich kommt er«, sagte er zum Abschied.
    »Er kommt«, sagte ich.
    Der Schafsmann lief in östlicher Richtung über die Weide. Schließlich verschwand er im Schleier des Schnees. Dann war alles still.
    Ich goss zwei Zentimeter hoch Kognak ins Glas des Schafsmanns und trank es in einem Zug aus. Hitze in der Kehle, dann im Magen. Dreißig Sekunden später hörte mein Körper auf zu zittern. Nur das Ticken der Standuhr hallte mir übertrieben laut im Kopf.
    Ich legte mich besser hin.
    Ich holte mir eine Wolldecke aus dem ersten Stock und legte mich aufs Sofa. Ich war erschöpft wie ein Kind, das drei Tage allein im Wald umhergeirrt ist. Kaum hatte ich die Augen zugemacht, übermannte mich auch schon der Schlaf.
    Ich hatte einen furchtbaren Traum. So furchtbar, dass ich mich hinterher nicht mehr daran erinnern konnte.

10. UND DIE ZEIT VERGEHT
    Durch die Ohren kroch die Dunkelheit in mich hinein wie Öl. Jemand versuchte, mit einem Riesenhammer die zu Eis erstarrte Erde zu zertrümmern. Der Hammer schlug genau achtmal zu. Aber die Erde zerbrach nicht. Sie bekam nur ein paar Risse.
    Acht Uhr, acht Uhr abends.
    Ich schüttelte den Kopf, bis ich wach war. Meine Glieder waren noch taub, und mein Kopf schmerzte, als ob man mich mit Eiswürfeln in einen Shaker gesteckt und wie wild durchgeschüttelt hätte. Es gibt nichts Schlimmeres, als im Dunkeln aufzuwachen. Alles und jedes muss von Beginn an neu durchgekaut werden. Man fühlt sich nach dem Aufwachen, als lebte man das Leben eines andern. Und es dauert seine Zeit, bis man es mit seinem eigenen in Einklang gebracht hat. Merkwürdige Sache, das eigene Leben als das eines Fremden zu sehen. Man wundert sich, dass so einer überhaupt lebt.
    Ich wusch mir in der Küche das Gesicht und trank bei der Gelegenheit gleich zwei Glas Wasser. Das Wasser war eiskalt, aber mein Gesicht glühte weiter. Ich setzte mich noch einmal aufs Sofa und suchte die Bruchstücke meines Lebens zusammen. Glanzstücke waren es nicht, aber immerhin kam mein Leben dabei heraus. Nach und nach fand ich wieder zu mir selbst. Jemandem zu erklären, dass ich ich selbst bin, ist nicht einfach. Aber vermutlich will das gar niemand wissen.
    Ich hatte das Gefühl, beobachtet zu werden, aber es kümmerte mich nicht besonders. Ein Gefühl, wie man es eben hat, wenn man in einem großen Zimmer allein ist.
    Ich dachte an die Zellen. Am Ende geht alles dahin, wie meine Frau gesagt hatte. Sogar man selbst. Ich stützte den Kopf in beide Hände. Das Gesicht, das die Hände in der Dunkelheit umfassten, schien nicht das meinige zu sein. Es war das Gesicht eines anderen, mit meinen Zügen. Selbst mein Gedächtnis bot keinen Halt. Die Namen der Dinge lösten sich auf und wurden in die Dunkelheit gesogen.
    Im Finstern

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