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Wilde Schafsjagd

Wilde Schafsjagd

Titel: Wilde Schafsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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es mir wieder einigermaßen passabel, aber noch zwei Stunden lang überfielen mich in unregelmäßigen Abständen Kälteschauer. Das war also der Winter auf dem Berg.
    Es schneite bis zum Abend; die ganze Weide trug Weiß. In der Dämmerung ließ der Schneefall nach, und wie Nebel senkte sich wieder jene tiefe Stille herab, Stille, der ich nicht entrinnen konnte. Ich schaltete den Plattenspieler auf Autorepeat und hörte mir sechsundzwanzigmal Bing Crosbys White Christmas an.
    Natürlich blieb der Schnee nicht ewig liegen. Wie der Schafsmann vorhergesagt hatte, würde es noch ein bisschen dauern, bis der Boden überfror. Am nächsten Tag klarte es vollständig auf, und unter den Strahlen der lange vermissten Sonne schmolz der Schnee langsam dahin. Die Weide bekam Flecken, und dann reflektierten nur noch vereinzelte Schneereste grell das Sonnenlicht. In großen Schollen rutschte der Schnee von den Schrägen des Mansardendaches; geräuschvoll trafen sie auf dem Boden auf und zerbrachen. Vor den Fenstern tropfte Schmelzwasser vom Dach. Alles glänzte und funkelte. Die Eiche vor dem Haus glitzerte, als ob auf jedem einzelnen Blatt ein Wassertröpfchen säße.
    Die Hände in den Hosentaschen, stand ich im Wohnzimmer am Fenster und besah mir lange diese Szenerie. Ein Schauspiel, das sich ohne mein Zutun vollzog, eines, das mich nicht brauchte, das niemanden brauchte. Der Schnee fiel, der Schnee schmolz.
    Das Knistern schmelzenden und das Poltern in sich zusammenfallenden Schnees im Ohr, begann ich zu putzen. Der Schnee vereitelte, dass ich mich sportlich betätigte, und da ich mich schon einfach in einem fremden Haus eingenistet hatte, konnte ich es wenigstens sauber halten. Außerdem war ich Kochen und Putzen noch nie abgeneigt gewesen.
    Das große Haus gründlich rein zu machen war allerdings härtere Arbeit, als ich gedacht hatte. Zehn Jogging-Kilometer waren nichts dagegen. Erst staubte ich überall ab, setzte anschließend den großen elektrischen Staubsauger in Betrieb, dann wischte ich feucht die Dielen und bohnerte sie spiegelblank. Mitten in der Arbeit ging mir die Puste aus. Nicht auf unangenehme Weise, nicht, als ob etwas im Halse steckte; ich rauchte ja nicht mehr. Ich ging in die Küche, trank kalten Traubensaft und bohnerte, als ich wieder bei Atem war, in einem Rutsch den Rest; vor Mittag war ich fertig. Ich öffnete die Fenster und stieß alle Läden weit auf: Das ganze Zimmer glänzte. Es roch angenehm nach feuchter Erde und Bohnerwachs, wie in alten Zeiten.
    Nachdem ich die sechs alten Lappen, die ich zum Bohnern benutzt hatte, gewaschen und draußen zum Trocknen aufgehängt hatte, setzte ich Wasser auf und kochte Spaghetti. Viel Rogen und Butter, Weißwein, Sojasauce. Nach langer Zeit mal wieder ein richtiges gemütliches Mittagessen. Nahe im Wald zwitscherten ein paar Buntspechte.
    Nach dem Essen und Spülen machte ich mich wieder ans Putzen. Ich reinigte die Badewanne, das Waschbecken, die Toilette, polierte die Möbel. Dank Rattes Pflege fiel da kaum Arbeit an, ich brauchte nur Möbelpolitur aufzusprühen. Danach spritzte ich mit einem langen Gummischlauch von außen die Fensterläden ab. Gleich wirkte das ganze Haus adretter. Dann putzte ich die Fenster noch von innen, fertig. Die zwei Stunden, die bis zum Abend blieben, verbrachte ich damit, Schallplatten zu hören.
    Als ich mir am Abend ein neues Buch aus Rattes Zimmer holen wollte, fiel mir auf, dass der große Spiegel unten an der Treppe fast blind war vor Schmutz. Ich sprühte Glasreiniger auf und polierte ihn mit einem Lappen. Umsonst; das Glas war völlig verschmiert. Warum Ratte nur diesen einen Spiegel hatte verdrecken lassen, wollte mir nicht in den Kopf. Ich holte einen Eimer lauwarmes Wasser, schrubbte mit einer harten Bürste den Fettfilm ab und polierte dann mit einem sauberen Tuch nach. Das Wasser im Eimer war pechschwarz vor Dreck.
    Der kunstvolle Holzrahmen wies den Spiegel als teures, antikes Stück aus; das Glas zeigte nach dem Polieren nicht den kleinsten blinden Fleck. Der Spiegel war weder verzogen noch verkratzt und gab mein Bild vom Scheitel bis zur Sohle getreulich wieder. Ich blieb eine Weile davor stehen und betrachtete mein Spiegelbild. Nichts Auffälliges. Ich war ich, und das eher gelangweilte Gesicht war das, das ich immer machte. Nur, dem Bild im Spiegel fehlte die Flachheit, wie sie Spiegelbildern sonst eigen ist, es war zu klar, beinahe dreidimensional. Ich hatte eher den Eindruck, dass nicht ich mein Spiegelbild

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