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Wilde Schafsjagd

Wilde Schafsjagd

Titel: Wilde Schafsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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gemütlich ging, fünfzehn Minuten sein. An den Zypressenstämmen klebten unzählige Zikaden, die lärmten, als ob die Erde in ihre letzte Umdrehung ginge.
    Zu beiden Seiten der Zypressenallee lag gepflegter Rasen, und entlang der Böschungen standen in wilder Ordnung Azaleen, Hortensien und andere, mir unbekannte Pflanzen. Wie eine launische Wanderdüne zog ein Schwarm Stare von rechts nach links über den Rasen. Vom Hügel führten auf beiden Seiten enge Steinstufen nach unten, die zur Linken zu einem japanischen Garten mit Steinlaternen und Teich, die zur Rechten zu einem kleinen Golfplatz. Neben dem Golfplatz stand ein rumrosineneiskremfarbener Pavillon, dahinter eine klassisch-griechische Steinstatue. Jenseits der Statue erhob sich eine riesige Garage, wo ein anderer Chauffeur einen anderen Wagen abspritzte. Die Marke konnte ich nicht genau erkennen, aber ein alter VW war es jedenfalls nicht.
    Mit verschränkten Armen schaute ich noch einmal in die Runde. Da konnte man nicht meckern, aber: mannomann.
    »Wo ist denn der Briefkasten?«, fragte ich vorsichtshalber. Ich dachte an den armen Menschen, der morgens und abends bis zum Tor musste, um die Zeitung zu holen.
    »Der Briefkasten ist am rückwärtigen Eingang«, sagte der Fahrer. Am Hintereingang, klar. Hätte ich mir denken können.
    Nach der Garteninspektion wandte ich mich der Frontseite zu und sah mir den dort hochragenden Gebäudekomplex an.
    Welch unbeschreiblich singulärer Bau! Nehmen wir als Beispiel irgendeine Regel, dazu die natürlich gegebene kleine Ausnahme. Mit der Zeit breitet sich die Ausnahme wie ein Fleck immer weiter aus, bis sie am Ende selbst eine neue Regel bildet. Dort entsteht dann wieder eine kleine Ausnahme – einen, mit einem Wort, ebensolchen Eindruck machte dieses Bauwerk. Wie ein orientierungsloses, fossiles Lebewesen, das sich aufs Geratewohl weiterentwickelt hat.
    Zuerst wohl erbaut im europäischen Stil des 19. Jahrhunderts; ein zweistöckiges, kremfarbiges Gebäude mit klassisch hohem Vorbau; hohe, altmodische Flügelfenster, die Fassade mehrfach überstrichen. Das Dach war natürlich kupfergedeckt und die Regenrinne solide wie ein römisches Aquädukt. Dieses Haus war gar nicht so schlecht. Es strahlte ohne Frage die Würde guter alter Zeiten aus.
    Irgendein Witzbold von Architekt hatte allerdings in Anpassung an das ursprüngliche Haus rechts davon einen Anbau gleichen Stils und gleicher Farbrichtung hingesetzt. Die Idee war nicht übel, nur glichen sich die Flügel nicht im Geringsten – so, als servierte man auf einem Silbertablett Sorbet zusammen mit Broccoli. Dann hatte man das Ganze ein paar Dekaden so gelassen und schließlich eine Art steinernen Turm daneben gestellt. Und auf der Spitze des Turms einen dekorativen Blitzableiter angebracht. Ein Missgriff ohnegleichen. Besser wäre der Blitz eingeschlagen.
    In gerader Linie führte ein feierlich überdachter Verbindungsgang vom Turm zu einem Nebengebäude, auch wieder so ein merkwürdiges Imitat, das aber immerhin ein in sich geschlossenes Thema vermittelte – »These und Antithese« nämlich. Eine Melancholie lag darüber wie über dem Esel, der vor zwei gleich großen Heuhaufen langsam Hungers stirbt, weil er sich nicht entscheiden kann, welchen er zuerst fressen soll.
    Zur Linken des Stammhauses und kontrapunktisch dazu erstreckte sich lang der Flachbau eines einstöckigen japanischen Hauses, umgeben von Hecken und gepflegten Kiefern; der elegante Außenkorridor verlief kerzengerade wie eine Kegelbahn.
    Immerhin – dem Auge boten die Gebäude auf dem Hügel was. Eine lange Filmnacht plus Vorfilm plus Werbung war nichts dagegen. Wenn das nach Plan und über lange Jahre hin errichtet worden wäre, um dem Betrachter den Rausch aus dem Kopf und den Schlaf aus den Augen zu treiben – alle Achtung, ein voller Erfolg! Allein, dem war natürlich nicht so. Ein Anblick wie dieser kann nur entstehen, wenn zweitklassige Talente aus mehreren Epochen mit Unsummen Geldes zusammenkommen.
    Ich muss den Garten und die herrschaftlichen Häuser ziemlich lange angeschaut haben, denn bevor ich es merkte, stand der Fahrer unmittelbar neben mir und sah auf seine Armbanduhr. Er schien diese Geste irgendwie gewohnt zu sein. Wahrscheinlich standen alle Gäste, die er brachte, auf ebendem Fleck, auf dem ich stand, und starrten ebenso sprachlos in die Runde.
    »Schauen Sie sich nur in Ruhe um«, sagte er. »Wir haben noch acht Minuten Zeit.«
    »Ziemlich weitläufig«, sagte ich. Ein

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