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Wilde Schafsjagd

Wilde Schafsjagd

Titel: Wilde Schafsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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importierte es aus Amerika, man züchtete es, und dann wurde es vergessen. Nach dem Krieg schließlich sank mit der Aufhebung der Einfuhrbeschränkungen für Schafswolle und Lamm- und Hammelfleisch aus Australien und Neuseeland der Anreiz für einheimische Züchter auf beinahe null. Das ist das Schaf. Ein armes Tier, finden Sie nicht? Es steht, könnte man sagen, für die Moderne Japans schlechthin. Aber ich will Ihnen natürlich keinen Vortrag über die Nichtigkeit der japanischen Moderne halten. Was ich sagen will, ist zweierlei: Zum einen, dass bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts in ganz Japan vermutlich nicht ein einziges Schaf existierte, und zum anderen, dass die danach importierten Schafe vom Staat Stück für Stück einer rigorosen Kontrolle unterworfen wurden. Was bedeuten diese beiden Punkte?«
    Die Frage ging an mich. »Dass sämtliche in Japan vorkommenden Schafarten genauestens bekannt sind.«
    »Ganz recht. Hinzu kommt, dass sich, da es bei Schafen genau wie bei Rennpferden auf die Zucht ankommt, bei so gut wie allen in Japan vorkommenden Arten die Stammbäume mühelos über Generationen zurückverfolgen lassen. Das Tier ist, mit anderen Worten, gründlichst erfasst. Selbst alle Kreuzungen lassen sich ermitteln. Illegale Importe kommen nicht vor – wer hätte schon eine Schwäche dafür, eigens Schafe zu schmuggeln? An Rassen haben wir Southdowns, Spanische Merinos, Cotswolds, Chinesen, Shropshires, Corriedales, Cheviots, Romanowskis, Ostfriesen, Border Leicesters, Romney Marshs, Lincolns, Dorsethorns, Suffolks – das dürften die wesentlichen sein. Und jetzt«, sagte der Mann, »schauen Sie sich noch einmal genau das Foto an.«
    Ich nahm noch einmal das Foto und die Lupe zur Hand.
    »Achten Sie besonders auf das dritte Schaf von rechts in der vorderen Reihe.«
    Ich führte die Lupe über das dritte Schaf von rechts in der vorderen Reihe. Dann sah ich mir die Schafe daneben an, schließlich noch einmal das dritte von rechts.
    »Fällt Ihnen jetzt etwas auf?«, fragte der Mann.
    »Eine andere Rasse«, sagte ich.
    »Ganz recht. Bis auf das dritte von rechts handelt es sich ausschließlich um ganz gewöhnliche Suffolks. Nur dieses eine weicht ab. Es ist wesentlich untersetzter als die anderen, und die Färbung der Wolle ist anders. Auch der Kopf ist nicht schwarz wie bei den Suffolks. Es wirkt, wie soll ich sagen, gelassen und wesentlich robuster. Ich habe das Foto einigen Schafexperten vorgelegt. Sie alle kamen zu dem Ergebnis, ein solches Schaf existiere in Japan nicht. Vielleicht sogar nirgendwo auf der Welt. Sie schauen sich also gerade ein Schaf an, das es gar nicht geben dürfte.«
    Ich nahm die Lupe und untersuchte das dritte Schaf von rechts noch einmal. Es hatte, wenn man genau hinsah, auf dem Rücken, ziemlich exakt in der Mitte, einen dünnen Fleck wie von verschüttetem Kaffee. Er war äußerst verschwommen und kaum auszumachen; es hätte auch ein Fehler im Film oder eine Sinnestäuschung sein können. Oder aber jemand hatte auf dem Rücken des Schafes tatsächlich Kaffee verschüttet.
    »Es scheint auf dem Rücken einen dünnen Fleck zu haben.«
    »Das ist kein Fleck«, sagte der Mann. »Das ist eine sternförmige Zeichnung in der Wolle. Vergleichen Sie es mal hiermit.«
    Der Mann zog ein Blatt aus dem Umschlag und reichte es mir. Es handelte sich um die Fotokopie einer Schafzeichnung, vermutlich mit einem weichen Bleistift angefertigt. An den Rändern waren dunkel verschmierte Fingerabdrücke zu sehen. Das Bild im Ganzen war kindlich-naiv, aber doch irgendwie anziehend. Die Details waren mit großer Sorgfalt ausgeführt. Ich verglich das Foto mit der Zeichnung, die Zeichnung mit dem Foto: Es handelte sich eindeutig um dasselbe Schaf. Die sternförmige Markierung auf dem Rücken des gezeichneten Schafes stimmte mit dem Fleck auf dem des Fotos überein.
    »So. Und nun noch dies«, sagte der Mann, zog ein Feuerzeug aus der Hosentasche und gab es mir. Ein schweres silbernes, sondergefertigtes Dupont-Feuerzeug; eingraviert war darauf das gleiche Schafwappen, das ich im Wagen gesehen hatte – und auf dem Rücken des Schafes, klar und deutlich, der Stern.
    Langsam bekam ich Kopfschmerzen.

2. MERKWÜRDIGES VOM MERKWÜRDIGEN MANN (2)
    »Ich habe eben von Mittelmäßigkeit gesprochen«, sagte der Mann. »Nicht, um Ihre Mittelmäßigkeit anzugreifen. Die Welt an sich ist mittelmäßig, mithin auch Sie. Verstehen Sie, was ich meine?«
    »Nein.«
    »Die Welt ist mittelmäßig. Daran besteht kein

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