Wilde Wellen
sie so reizend und wirklich interessiert, dass es Paul keineswegs schwerfiel, ihr zu antworten. Und dabei mehr von sich preiszugeben, als er das gewöhnlich tat. Florence, durch unzählige Smalltalks mit durchaus verschlossen bleiben wollenden Gesprächspartnern geschult, spürte genau, dass er nicht so gelassen und ruhig war, wie es aussah. Da war eine innere Unruhe in seinem Blick, eine Irritation, die nichts damit zu tun hatte, dass er nicht genau wusste, worauf die Begegnung mit ihr hinauslaufen sollte. Und da war eine Traurigkeit, die er zu verbergen suchte, die aber für einen sensiblen Menschen spürbar über ihm zu schweben schien. Keine schlechte Ausgangssituation für das, was Florence mit ihm vorhatte. Wenn man ihm eine Fluchtmöglichkeit anbieten würde â da war sich Florence sicher â, würde er sie ergreifen. Egal wovor er floh. Männer waren so einfach zu manipulieren! Davon ging Florence aus.
Und war dann doch sehr erstaunt, dass Paul ihren Vorschlag, den sie ihm machte, als sie sich zum Kaffee in die kleine asiatische Sitzgruppe an den groÃen Fenstern setzten, die auf einen gepflegten Barockgarten hinausführten, nicht sofort bejubelte.
»Ihr Angebot klingt sehr interessant, Madama LaRue. Aber, wie Sie sicher wissen, habe ich meinen Job an der Uni gerade erst angetreten. Ich würde Brest ungern jetzt schon wieder verlassen.«
»Die Forschungen in Vietnam sind mir eine Herzensangelegenheit. Und ich kann mir keinen fähigeren Mann als Sie vorstellen, der das Projekt leiten könnte. Dekan Patou ist übrigens meiner Meinung. Er sieht kein Problem darin, Sie für ein paar Semester freizustellen.«
Also hatte Patou genau gewusst, was Florence LaRue von ihm wollte. Und hatte es ihm wohlweislich nicht gesagt. Denn wenn Paul auch nur den Schimmer einer Ahnung davon gehabt hätte, dass Madame LaRue ihn zum Leiter eines archäologischen Projekts in Vietnam machen wollte, wäre er zu diesem Abend überhaupt nicht angetreten. Egal wie viel Geld sie in das Projekt stecken wollte. Und egal wie groà sein Renommee durch diese Arbeit werden könnte.
Florence hatte Pauls Widerstand durchaus erwartet. Wissenschaftler waren ihrer Erfahrung nach eine besondere Sorte Mensch. Sie entschieden nie schnell und spontan. Sie mussten das Für und Wider gründlich abwägen, mussten sich in aller Ruhe mit einem Vorschlag auseinandersetzen. Und sie waren nicht bestechlich. Geld spielte für sie nur eine Rolle, wenn es der Wissenschaft diente. Persönlich interessierte es sie nur am Rande. Insofern entsprach Paul Racine genau den Erwartungen von Florence LaRue.
»Sie sollte sich die Zeit nehmen, um über mein Angebot nachzudenken.« Sie reichte ihm eine Mappe, die nicht nur eine Dokumentation über die schon geleisteten Vorarbeiten enthielt, sondern auch eine präzise Auflistung der Unterstützung, die Madame LaRue dem Projekt angedeihen lassen wollte. Es war sehr viel Geld im Spiel. Florence wusste, wie groà die Verlockung für einen Wissenschaftler sein musste, ein paar Jahre in aller Ruhe vor Ort forschen zu können, ohne sich mühsam um die Finanzierung kümmern zu müssen, ohne das ständige Damoklesschwert des Abbruchs der Arbeiten wegen finanzieller Schwierigkeiten über sich hängen zu wissen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Paul nicht wenigstens den Gedanken durchspielen würde, ihr Angebot anzunehmen. Und wenn er sich erst einmal auf die Idee eingelassen hatte, würde er so schnell nicht mehr davon loskommen.
Leon sah den Zettel, der unter den Scheibenwischer seines Jaguars geklemmt war, schon von Weitem. Ein Strafzettel? Hier auf dem Gelände seiner eigenen Firma? Das ging dann wohl doch zu weit. Er wollte den Zettel zerknüllen und wegwerfen. Doch in dem Moment, als er ihn in der Hand hatte, war ihm klar, dass es sich nicht um einen Strafzettel handeln konnte. Das Papier war zu steif. Kein Vordruck, wie ihn die Polizei üblicherweise benutzte. Er faltete den Zettel auf.
»Ich weiÃ, was Sie am 4. September getan haben. Wenn Sie nicht wollen, dass die Polizei davon erfährt, zahlen Sie eine Million Euro.«
Ein Scherz. Das konnte nur ein Scherz sein. Es gab nur zwei Personen, die wussten, was er getan hatte. Claire und Michel. Und keiner der beiden würde ihn erpressen. ZerreiÃen, wegwerfen, vergessen. Was anderes konnte er nicht tun. Er starrte auf die Computerschrift.
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