Wilde Wellen
war, hatte sie nicht mehr mit ihm gesprochen. Diese Ungeheuerlichkeit konnte sie ihm nicht verzeihen. Ohne ihn anzusehen, hielt sie ihm stumm das Tablett hin.
»Ich wusste nicht, dass Sabine dich eingeladen hat.«
»Hat sie nicht. Dekan Patou hat eine Einladung bekommen. Und da er verhindert ist, hat er sie mir überlassen.« Seine Augen schweiften durch den Raum, über Sabines Gemälde.
»Um ehrlich zu sein, ich habe nicht erwartet, dass Leon Menecs Exfrau so viel draufhat. Die Bilder sind ja ganz schön gewaltig.«
Marie wollte alles, nur keinen Smalltalk mit Paul. Sie sah, wie ihr Vater sie mit Blicken zu einer Gruppe Gäste dirigierte, die nichts mehr zu trinken hatten, und war froh darüber, von Paul wegzukommen. Doch Paul lieà sich nicht so einfach abschütteln.
»Ich hab keine Ahnung, wieso das mit uns so unrund läuft ⦠Aber du musst mit mir reden.«
»Worüber soll ich mit dir reden? Dass du meinen Vater für einen Mörder hältst, weià ich schon.« Maries Augen waren schwarz vor unterdrückter Wut.
»Du weiÃt, dass das nicht stimmt. Ich hab dir nur gesagt â¦Â«
»Marie?« Michel winkte ihr zu. Die Nachspeisen waren aus. Sie musste aus dem Kühlschrank Nachschub holen. Marie nickte und verschwand Richtung Küche. Paul folgte ihr. Bevor sie nicht geredet hatten, würde er sie nicht in Ruhe lassen. Er schloss die Küchentür hinter sich.
»Hast du mit deinem Vater geredet?«
»Bist du verrückt geworden? Was soll ich ihm sagen? Dass es Leute gibt, die ihm zutrauen, dass er Céline umgebracht hat? Verdammt, Paul, wir haben gerade so was wie eine Basis für uns gefunden. Und die ist noch längst nicht stabil. Was glaubst du, was passiert, wenn er annehmen muss, dass ich ihm misstraue?«
»Tust du das denn?«
Maries Gedanken platzten in ihrem Kopf wie Popkorn. Schossen wild durcheinander. Es konnte doch nicht sein, dass sie dachte, Michel könnte ⦠Sie dachte an seine Lügen, an seine Versuche, sie zu manipulieren, daran, dass er ihr verschwiegen hatte, dass er der Kapitän der Helena gewesen war. All das wies darauf hin, dass Michel nicht besonders charakterfest war. Aber war er ein Mörder? Ihr Herz schrie Nein . Und ihr Verstand?
»Es gibt kein Motiv.«
So ruhig es ihr möglich war, ging sie mit einem neuen Tablett voller Blaubeertörtchen an ihm vorbei. Die plötzlich ins Rutschen kamen und auf dem weiÃen Kachelboden der kleinen Küche in dunkelblaue Punkte zerspritzten. Marie und Paul merkten nichts davon. Ihre Lippen hatten sich gefunden. Ihre Herzen spürten einander schlagen, als sie sich küssten.
»Nicht. Ich kann das nicht«, wollte Marie noch murmeln. Doch dann gab sie jeden Widerstand auf. Morgen war auch noch ein Tag. »Marie, die meisten Gäste gehen gerade. Wir könnten â¦Â«
Caspar bleibt das Wort im Hals stecken, als er die Küchentür öffnete, um Marie zu einer kleinen Spitztour zu überreden.
Marie und dieser Paul? Die Wut, die in ihm hochstieg, fühlte sich an, als würde sie seinen Schädel sprengen. Was tat sie denn da? Wieso küsste sie diesen Mann? Er wollte Marie aus Pauls Armen reiÃen. Du gehörst mir. Wieso betrügst du mich? Er wollte diesen Mann niederschlagen. Seinen Kopf gegen die Wand krachen lassen. Er wollte sein Blut spritzen sehen, wollte ihn aufstöhnen hören. Alles war voll Blut; vor seinen Augen war es rot.
»Ist Marie in der Küche? Sie muss unbedingt noch Käse bringen.«
Als Marie Michels Stimme vernahm, machte sie sich von Paul los.
»Käse? Ja klar, kommt sofort, Papa.«
»Mach schnell, die Gäste wollen noch einen Abschiedsschluck nehmen, da ist der Käse gut dazu.«
Michel sah auf die blaue Katastrophe auf dem Boden.
»Was ist denn hier passiert?«
»Meine Schuld.« Paul sah Michel zerknirscht an. »Ich war Marie im Weg.«
Marie nahm hastig die Platten mit dem Käse aus dem Kühlschrank, zog die Schutzhüllen weg, drapierte ein paar Trauben dazu. »Ich putze das sofort auf.« Sie stieg über die zermatschten Törtchen weg und verschwand im Atelier.
Michel und Paul griffen gleichzeitig zur Küchenrolle. Zwei Männer, ein Gedanke.
»Nach Ihnen.« Michel lachte Paul unbefangen an.
Paul nahm die Rolle, riss zehn Blatt ab, fing an, den Törtchenmatsch aufzuwischen.
»Danke, das ist nett von Ihnen.«
Paul sah
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