Wilde Wellen
hätte sich der Polizei gestellt. Weil er es nicht ertragen hätte, noch mehr Schuld auf sich zu laden. Das hatte er Marie sagen wollen, als er sie bei Sabine sah. Und er war nicht mehr dazu gekommen. Weil Marie ⦠ja, wieso eigentlich? Hatte Marie tatsächlich gespürt, was ihn bewegt hatte? War es deshalb zu diesem Kuss gekommen? Oder war es die Verzweiflung gewesen, die sie in seine Arme getrieben hatte? Es war so viel Erleichterung in ihr gewesen, als er sie endlich in den Armen hielt. So viel Freude. Und Verlangen. Körperliches Verlangen. Natürlich. Aber da war auch dieses andere. Dieses Gefühl, dass sie wirklich zusammengehörten. Dass das Schicksal sie zusammengeführt hatte. Dass es einfach nur richtig war, dass sie sich getroffen und ineinander verliebt hatten. Marie. Marie. Marie. Er konnte nicht anders als sich nach ihr zu sehnen. Er stand auf der Terrasse unter dem gewaltigen Sternenhimmel; ein leiser Wind war aufgekommen und strich über das Meer, mild und sanft, so als wollte er noch einmal, bevor endgültig der Herbst mit seinen Stürmen über das Land kam, an den Sommer erinnern. An die Düfte von Rosen und Hortensien, an den Geruch des würzigen Grases. An die Leichtigkeit des Sommerlebens, in dem die Wärme die Menschen beruhigte und die Kälte des Winters und des Todes vergessen lieÃ. Der Kuss war wie ein Versprechen gewesen. Nicht nur für die heutige Nacht, in der er hoffte, dass Marie zu ihm kommen würde. Sondern auch für das Leben. Er wusste, dass er so schnell wie möglich seine Beziehung zu Sara beenden musste. Oder besser, dass er Sara gestehen musste, dass für ihn diese Beziehung schon lange nicht mehr bestand. Aber er wollte ihr nicht weh tun. Noch weniger wollte er ihre Tränen sehen. Ihren Schmerz. Und ihre Wut, die sie sicher auf ihn haben würde. Es war feige, die Begegnung mit ihr hinauszuzögern. Als könnte man hoffen, dass sich so etwas von selbst erledigte. Sara saà in Paris und glaubte, dass alles in Ordnung sei zwischen ihnen. Sie sehnte sich nach einem Mann, der schon lange einer anderen gehörte. Es war gemein, sie im Unklaren zu lassen, nur weil er sich davor fürchtete, sie mit der Wahrheit zu konfrontieren. Er würde nach Paris fahren. Er würde Sara treffen. Er würde ihr gestehen, was passiert war. Und dann würde er frei sein. Für Marie.
Er sah in der Ferne die Lichter von Concarneau wie kleine Flammen in der klaren Nachtluft zittern. Marie. Wieso fand sie in dieser Nacht nicht den Weg zu ihm? Aber wahrscheinlich war sie nach dem anstrengenden Abend bei Sabine einfach zu müde. Wahrscheinlich musste sie Michel noch helfen, die Sachen in Ordnung zu bringen. Gläser und Teller zu spülen, die Abrechnung zu machen. Sie würde todmüde in ihr Bett fallen. Vielleicht würde sie an ihn denken. Vielleicht würde sie sich so nach ihm sehnen wie er sich nach ihr. Und sicher würde er sie morgen sehen. Der Tag würde anbrechen, und er würde zu ihr fahren und sie in seine Arme schlieÃen. Und er würde ihr sagen, dass er sie nicht mehr loslassen wollte. Merlin stupste mit seiner trockenen Nase gegen sein Bein.
»Alles wird gut, mein Alter.« Er streichelte den Kopf des Hundes. »Ich hab mich nur in ein paar romantische Gedanken versponnen. Lach nicht, Hund, ich weià ja, dass das nicht zu einem Mann passt. Aber was soll ich machen? Ich kriege diese Frau einfach nicht aus meinen Gedanken. Und aus meinen Gefühlen schon gar nicht.«
Als er wieder im Bett lag, nahm er sich vor, von Marie zu träumen. Keine düsteren Erinnerungen wollte er mehr zulassen. Die Vergangenheit musste einfach vorbei sein. Sie durfte die Gegenwart nicht mit ihren Schatten beschweren. Als Paul einschlief, glaubte er, Maries Duft zu riechen. Er spürte ihren schmalen, warmen Körper, der sich an ihn schmiegte. Marie. Mit dem Gedanken an sie überlieà er sich endlich den sanften Wellen des Schlafs.
Thomas hatte den Imbiss, den Marie ihm hingestellt hatte, nicht aufgegessen. Nur den köstlichen Bordeaux hatte er getrunken. Er war müde von der Fahrt und wollte nichts anderes, als ins Bett zu gehen. Zusammen mit Marie. Als sie nebeneinander in Maries schmalem Bett lagen, eng aneinandergeschmiegt, ihr Rücken an seinem Bauch, tasteten seine Hände sich an ihrem Körper entlang. Er wollte mit ihr schlafen. Er wollte, dass sie ihn genauso begehrte wie er. Doch Marie hielt
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