Wilde Wellen
Sie. Ich bin Thomas. Thomas Berger. Marie und ich â¦Â«
»Ich hab von Ihnen gehört. Guten Abend. Wie kommen Sie denn um diese Zeit noch hierher?«
Marie erwachte aus ihrer Erstarrung. Thomas war hier.
»Fluglotsenstreik in halb Europa. Meine Termine die nächsten zwei Tage sind gecancelt worden. Nach London komme ich auch nicht zurück. Da dachte ich, dass es ganz schön wäre, dich zu besuchen, Liebes. Ich hab mich spontan ins Auto gesetzt und bin losgefahren. Einfach immer Richtung Westen, bis nichts mehr ging.«
»Wieso hast du nicht angerufen?« Marie wusste, wie schal ihre Stimme klang. »Ich meine, ich hätte dich ⦠Du hättest hier nicht die ganze Nacht ⦠Wann bist du denn überhaupt angekommen?« Sie war durcheinander. Die Worte purzelten ihr irgendwie unkontrolliert aus dem Mund.
»Haben Sie Hunger? Wollen Sie etwas trinken? Marie, ich würde sagen, bitte deinen Gast doch erst mal herein.«
Marie wollte das nicht. Paul, schoss es ihr durch den Kopf.
Paul.
»Wenn Sie wollen â wir haben noch Rehfilets vom Büfett und Salat. Etwas Brot dazu â¦Â« Thomas spürte tatsächlich seinen Magen knurren. Er war mittags in Paris losgefahren, als er vom Fluglotsenstreik erfahren hatte. Zusammen mit gefühlten zehn Millionen anderen Parisern, die plötzlich auch zwei geschenkte Tage hatten. Bis Rennes war er Stop and Go gefahren. Immer kurz vor dem endgültigen Stau. Erst danach, als er sich der Küste näherte, war der Verkehr flüssiger geworden. Natürlich war ihm klar, dass er Marie mit seinem Besuch überrumpelte. Er hatte auch ganz bewusst nicht angerufen. Er hatte ihr einfach keine Gelegenheit für irgendwelche Ausreden geben wollen. Jetzt war er da. Und jetzt würde er herauskriegen, was hier eigentlich los war.
Denn es war ihm durchaus aufgefallen, dass Maries Anrufe in letzter Zeit immer weniger geworden waren. Und die Gespräche, wenn sie denn mal zustande kamen, immer einsilbiger.
»Ich helfe meinem Vater noch schnell das Auto auszuräumen, dann bekommst du was zu essen.« Marie musste ihre Gedanken ordnen, die ins Schleudern geraten waren, als sie Thomas vor sich sah. Und vor allem ihre Gefühle. Die Achterbahn fuhren. Ihr war plötzlich übel. Und ihr Fluchtinstinkt war geweckt. Nur schnell weg von hier.
»Wir sind doch schon fast fertig. Den Rest schaffe ich allein. Kümmere dich nur um deinen Gast.«
Wieso sind Männer nur so schrecklich begriffsstutzig? Michel begriff anscheinend überhaupt nicht, in welche emotionale Bredouille Marie gerade rauschte.
Als Thomas den Arm um sie legte, konnte sie sich gerade noch beherrschen, nicht zusammenzuzucken. Essen, okay, sie würde ihm jetzt erst mal was zu essen machen. Und dann?
Sie wusste es nicht, als sie diesen attraktiven Mann ansah, der ihr jetzt gerade eine der charakteristischen hellblauen Schachteln mit dem weiÃen Seidenband in die Hand drückte, denen man auf den ersten Blick ansah, dass sie vom Kultjuwelier Tiffanyâs stammten.
»Damit du nicht vergisst, wo du wohnst.« Marie sah auf den winzigen silbernen Eiffelturm, der an einem grobgliedrigen Bettelarmband hing, und konnte nicht verhindern, dass ihr die Tränen in die Augen schossen. Wie konnte sie nur? Wie konnte sie nur so untreu sein? Thomas. Und ihrer geliebten Stadt. Beschämt gestand sie sich ein, dass sie an beide in der letzten Zeit nicht gedacht hatte. Sie war weggefahren, ohne Bedauern. Hatte keine Zeit dafür verschwendet zu überlegen, ob sie Thomas verletzte. Hatte betrogen, hatte belogen. War einfach angekommen in einem Leben, das sie so schnell wie möglich zu dem ihren machen wollte. Ihre Hand zitterte, als sie das Armband umlegen wollte.
»Warte, ich helfe dir. Die Verkäuferin hat mir schon gesagt, dass es ein bisschen Ãbung braucht, das Teil anzulegen.« Wie selbstverständlich zog Thomas ihre Hand zu sich und wand ihr das Band um das schmale Handgelenk.
Zu weit. Gott sei Dank war das Armband zu weit. Es rutschte Marie in geschlossenem Zustand über die Hand.
»Tut mir leid, ich hab anscheinend vergessen, wie dünn du bist. Oder hast du hier so viel abgenommen? Gibt dir dein Vater nicht genug zu essen?«
Marie lachte schwach. Sie küsste Thomas auf die Wange.
»Es ist wunderschön. Vielen Dank!«
»Du kannst es bei Tiffanyâs enger machen lassen. Dieser Service ist im Preis inbegriffen.
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