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Wilde Wellen

Wilde Wellen

Titel: Wilde Wellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Sadlo
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ist.« Marie wünschte, sie könnte ihrem Vater etwas anderes sagen. Sie wünschte, sie könnte den frohen Blick, den er noch vor ein paar Minuten gehabt hatte, wieder auf sein Gesicht zaubern.
    Â»Also hat es ihn am Ende doch geholt …« Michels Stimme war zu einem Flüstern herabgesunken. Sein Blick ging hinaus auf das unendliche Blau, das an diesem Sonnentag so harmlos und unschuldig dalag.
    Â»Es gibt Leute, die glauben, dass er sterben wollte. Kannst du dir das vorstellen? Wieso sollte Leon sich umbringen?«
    Michel gab ihr keine Antwort. War es möglich? War es wirklich möglich, dass die Schuld ihn eingeholt hatte? Dass er es nicht mehr ausgehalten hatte, damit zu leben? Aber wieso jetzt? Wieso nach so vielen Jahren? Er, der immer behauptet hatte, jede Nacht selig wie ein Baby zu schlafen, er sollte jetzt vor seinen Alpträumen, die er immer geleugnet hatte, davongelaufen sein? In den Tod? Dunkel senkte sich das schlechte Gewissen wieder auf Michel. Hatte Leon gefürchtet, dass er ihn verraten würde? Dass er angesichts der zu erwartenden Strafe endlich sein Gewissen erleichtern würde? Weil es ja sowieso nicht mehr darauf angekommen wäre? Hatte er gedacht, er würde ihn mit in den Abgrund reißen? Und sich deswegen das Leben genommen? Weil er den drohenden Skandal fürchtete? Den Ruin all dessen, was er für sich und für seine Familie aufgebaut hatte? War es möglich, dass er lieber in den Tod gegangen war, als Claire und Caspar zuzumuten, ihn als Mörder und Betrüger verurteilt zu sehen?
    Â»Kannst du dir einen Grund vorstellen, wieso sich Leon Menec umgebracht haben sollte?«
    Â»Nein.« Michel sah Marie in die Augen. Er würde den Freund nicht verraten. Er hatte es vor fünfundzwanzig Jahren nicht getan. Und er hatte es nicht im Gefängnis getan. Und er würde es niemals tun. Schon gar nicht, wenn Leon wirklich tot war.
    Â»Es tut mir leid, Madame Menec, aber das ist nicht so einfach. Solange man den Leichnam Ihres Mannes nicht gefunden hat, gilt er nicht als tot, sondern nur als vermisst. Und da gibt es keinen Grund, das Testament zu eröffnen.«
    Maître Jumas war selbst noch schockiert über den Segelunfall seines alten Freundes Leon. Er, der zehn Jahre älter war als Leon, hatte immer damit gerechnet, vor seinem Freund zu sterben. Wie oft hatte er Leon beim Tennis oder beim Wurftaubenschießen Stichworte hingeworfen, die dieser eines Tages bei seiner Trauerfeier in seine Rede einflechten sollte. Und nun war der Jüngere vor ihm gegangen. Ein Mann, der noch voller Kraft und voller Pläne war. Der eine schöne Frau und einen inzwischen wohl auch hoffnungsvollen Sohn an seiner Seite hatte. Das Schicksal war ungerecht.
    Â»Ich will ja auch nicht glauben, dass er nicht wiederkommt. Im Gegenteil, ich bin in meinem tiefsten Inneren überzeugt, dass es so sein wird. Vielleicht wurde er von einem Fischer aufgelesen und hat das Gedächtnis verloren, vielleicht wurde er auf eine der kleinen Inseln gespült und wartet auf Rettung, vielleicht war er ja doch nicht auf dem Schiff, sondern in dem Hotel in Rennes, das vorgestern abgebrannt ist. Er könnte alle seine Papiere verloren haben und jetzt im Krankenhaus liegen. Vielleicht im Koma. Und niemand weiß, wen man benachrichtigen soll.« Sie hätte tausend weitere Möglichkeiten aufzählen können, was Leon passiert sein mochte.
    Â»Aber ich muss an die Firma denken. Unsere Leute und unsere Kunden werden bald schon unruhig werden. Man muss ihnen Sicherheit geben, dass alles so weitergehen wird wie bisher. Dass Caspar die Geschäfte übernimmt und …«
    Â»Caspar und Eva, meinen Sie.«
    Â»Wieso Caspar und Eva? Leon hat das Testament zu Caspars Gunsten geändert. Er hat ihn als Alleinerben eingesetzt.«
    Â»Leon hatte vor, sein Testament zu Caspars Gunsten zu ändern. Das stimmt. Wir haben darüber geredet. Und ich habe auch ein neues Testament aufgesetzt.«
    Â»Aber?«
    Â»Aber er ist nicht mehr dazu gekommen, es zu unterschreiben. Es tut mir leid. Falls Leon wirklich tot ist, werden Eva und Caspar zu gleichen Teilen erben.«
    Sie hasste ihn. Ihr Herz brannte lichterloh vor Enttäuschung und Bitternis und vor schwarzglühendem Hass. Er hatte es ihr versprochen. Er hatte ihr versprochen, das Testament zu ändern. Und er hatte es versäumt. Den Termin immer wieder verschoben. Weil es nicht wichtig war. Weil er doch noch

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