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Wilde Wellen

Wilde Wellen

Titel: Wilde Wellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Sadlo
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Auge. »Polizistenmord am Montmartre. Amokläufer von Polizistin getötet.« Er sah das Bild der schwer verletzten Marie auf dem Titelblatt.
    Â»Sie hat Glück gehabt, dass es ihr nicht gegangen ist wie ihrem Kollegen.«
    Célines mitfühlender Blick betrachtete das Foto von Marie.
    Â»Wie klein ein Mensch wirken kann. So verletzlich. Hast du gehört, wie es ihr geht?«
    Â»Sie wird wieder ganz gesund werden«, sagt Michel. »Aber sie hat wohl ihr Gedächtnis verloren.«
    Einen Moment lang herrschte Stille in Leons Büro. Man hörte nur die wilden Schreie der Möwen, die vor seinem Fenster ihre gewagten Lufttänze aufführten.
    Â»Armes Ding.« Célines Stimme wurde leise. »Aber vielleicht hat das ja auch sein Gutes.«
    Â»Wie meinst du das?« Leon betrachtete nachdenklich Célines ruhige Schönheit.
    Â»Vergessen kann eine Gnade sein.«
    Eine Gnade, ja, das war es, wenn man vergessen könnte. Leon wusste, was sie meinte. Aber war das wirklich möglich? Einfach alles zu vergessen? Bestand nicht immer die Gefahr, dass das Unbewusste, das mühsam Verdrängte irgendwann doch wieder an die Oberfläche des Erinnerns drückte?
    Â»Was ist, wenn sie sich doch wieder erinnert?«
    Sie sahen sich an. Nur einen kurzen Moment lang verhakten sich ihre Blicke ineinander. Einen kurzen Moment des Erinnerns lang. Es wäre so einfach gewesen zu reden. Zu fragen. All die Jahre lang hatte Céline Tag für Tag neben Leon gearbeitet und gelebt. Wieso hatte er sie nie gefragt? Wieso hatte er das Vergessen zugelassen?
    Â»Sag es mir, Céline, was ist, wenn Marie sich wieder erinnert?«
    Da war plötzlich wieder dieser Schmerz. Dieser tiefe, grauenvolle Schmerz in Célines Brust, der sie am Tag der Schießerei am Menhir von Kerloas überwältigt hatte.
    Â»Ich weiß es nicht, Leon. Ich weiß nur, dass das Schicksal sich nicht aufhalten lässt. Nicht von mir. Nicht von dir. Von niemandem.«
12
    Er war wirklich nett, dieser Mann, der sie zum Taxi führte. Er war nett, und er würde sie nach Hause bringen. Nach Hause. Wie sehr sie sich auch anstrengte, es wollte ihr nicht einfallen, wo das sein sollte. Und wie es da aussehen mochte.
    Â»Concarneau« hatte Michel gesagt. »Unser Haus am Hafen. Und mein Restaurant. Das Meer, Marie. Die Felsen, auf denen wir uns immer gesonnt haben. Und die Bucht von St. Martin, in der wir im Sommer immer Sandburgen gebaut haben.« Seine blauen Augen leuchteten, wenn er von diesen schönen Sommern erzählte, in denen er und Monique – die Frau, die wohl ihre Mutter war – und sie zusammen die Tage am Strand verbracht hatten. Er hatte ihr Fotos von Concarneau gezeigt. Von den schmalen Gassen, von den Häusern aus grauem Stein, von der Steinmauer, die sich um die auf einer Insel gelegene Altstadt zog, von der kleinen steinernen Kirche, in der sie getauft worden war. Und sie hatte sich gequält. Hatte auf die Bilder gestarrt und dem Erzählten nachgelauscht und hatte versucht, eigene Bilder aus sich heraufzubeschwören. Eigene Geschichten. Aber da war nichts. Nur eine farblose Leere. Dr. Lenoir hatte sie ermahnt, nicht zu streng mit sich zu sein.
    Â»Die Erinnerung kommt vermutlich wieder. Aber sie lässt sich nicht herbeizwingen.« Er hatte ihr geraten, in ihr Leben zurückzukehren und es langsam angehen zu lassen. Und das würde sie jetzt tun. Mit klopfendem Herzen. An der Seite dieses unglaublich hilfsbereiten und geduldigen Mannes, der ihr Vater war. Sie würden nach Hause zurückkehren. Und hoffen, sich dort wieder zu finden. Sich – und ihr Leben.
    Michel spürte, wie sich Maries Hand verkrampfte, als sie den Flughafen von Brest verließen. Erinnerte sie sich schon jetzt? Würde sie ihn gleich ansehen und sagen, dass sie auf der Stelle wieder nach Paris zurückwollte? Für einen kurzen Moment legte sich eine kalte Hand um sein Herz. Er durfte sie nicht wieder verlieren. Es durfte einfach nicht sein.
    Doch es war der ungewohnt steife Wind, der Marie irritierte, der salzige Duft des dunkelblauen Meers.
    Â»Wunderschön«, sagte sie leise. »Was für eine wunderschöne Gegend.«
    Â»Hier ist dein Zuhause, Marie. Du warst immer gern hier.«
    Michel sah seine Tochter von der Seite an. Wie schön sie geworden war in den Jahren, in denen er sie nicht gesehen hatte. Und durch den »Unfall«, wie er die Schießerei nannte, fast

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