Wilde Wellen
er in deine FuÃstapfen treten wird. So wie du die Firma von deinem Vater übernommen hast, wird er sie von dir übernehmen.«
Leon lachte auf. Claire wusste genau, was Leon damals von seinem Vater geerbt hatte. Eine kleine, dumpfe Klitsche. Ein Fischerboot. Mehr nicht. Die erfolgreiche Firma Menec, die mit ihren Fischen den ganzen europäischen Markt belieferte, hatte er in den letzten zwanzig Jahren aufgebaut. In den Jahren nach dem Untergang der Helena .
»Ich war immer der Meinung, dass unser Sohn seinen eigenen Weg gehen soll. Wenn er ihn in meine Firma führt, schön. Aber wenn nicht, ist das auch keine Katastrophe. Das Wichtigste ist, dass er etwas tut, was ihm Freude macht.«
»Er hat doch keine Ahnung, was Freude machen kann. AuÃer Surfen hat er noch nie etwas getan.«
»Und deswegen ist er bretonischer Meister geworden. Ich für meinen Teil finde das groÃartig.«
»Ich war sogar französische Meisterin. Aber da war ich achtzehn. Und wusste, dass das irgendwann mal aufhören würde mit dem Surfen.«
Leon verstand Claires Wut nicht. Sie liebte ihren Sohn doch. Mehr als alles andere auf der Welt. Wieso konnte sie nicht abwarten, wohin er sich entwickelte? Natürlich würde es ihm gefallen, wenn Caspar an seiner Seite arbeiten würde. Aber doch nur, wenn er das freiwillig und mit Freuden tat.
»Man kann niemanden zu seinem Glück zwingen.«
»Das sehe ich anders.« Claire war felsenfest davon überzeugt, dass das genaue Gegenteil richtig war. Manche Menschen musste man hart anfassen. Man musste sie auf ihren Weg zwingen. Und dann würden sie eines Tages schon erkennen, dass er der richtige war.
»Apfeltarte, super! Ich hab einen irren Hunger.«
Caspar strahlte wie ein kleiner Junge. Seine Haare waren vom Wind zerzaust, sein Hemd hing über die verschlissenen Jeans, seine Augen strahlten, als er seine Mutter auf die Wange küsste.
»Wie war der Wind heute?« Leon reichte seinem Sohn einen Teller mit einem Stück des leckeren Kuchens.
»Lau. Für Herbst ist da drauÃen echt ziemlich wenig los.«
»Dann hättest du ja gut in die Firma gehen können.«
Claires Stimme war kühl, als sie ihrem Sohn zusah, wie er gierig die Tarte in sich hineinstopfte.
»Ach, verdammt, hab ich glatt vergessen.« Caspar sah seinen Vater schuldbewusst an.
»Vergessen? Vergessen kann man nur etwas, das man sich auch ernsthaft vornimmt. Verdammt, Caspar, dein Vater hat mit dir gerechnet. Du weiÃt, dass er dich in der Firma braucht.«
»Ich hab was gearbeitet, falls du das meinst. Ich hab Marie Surfstunden gegeben. Sie ist gar nicht mal so unbegabt.«
Claire und Leon sahen einander an. Es war klar, dass beide gleichermaÃen beunruhigt waren.
»Marie Lamare? Was hast du mit Marie zu tun?«
»Hab ich doch gesagt: Ich bring ihr Surfen bei.«
Leon fühlte sich plötzlich unbehaglich. Caspar und Marie â das war etwas, was ihm nicht gefiel. So wie es ihm überhaupt nicht gefiel, dass Marie immer noch in Concarneau war.
»Vielleicht gehst du morgen wirklich mal mit in die Firma.«
»Aber Marie â¦Â«
»Marie Lamare kann auch einen anderen Surflehrer finden. Ich weià sowieso nicht, wieso sie das unbedingt lernen muss. In ein paar Tagen wird sie sicher nach Paris zurückkehren. Dort ist ihr Leben.«
»Falls sie sich erinnert, meinst du? Oder falls Michel ihr endlich sagt, dass sie gar nicht hier gelebt hat vor der SchieÃerei? Ich versteh sowieso nicht, wieso er ihr nichts davon erzählt.«
»Anscheinend folgt er dem Rat von Maries Arzt. Der hat wohl gesagt, dass sie sich selbst erinnern muss. Und dass der Schock zu groà wäre, wenn man ihr einfach erzählen würde, was wirklich passiert ist. Du hast es ihr doch nicht erzählt?«
Tatsächlich hatte Caspar eine Sekunde lang überlegt, ob er Marie alles berichten sollte, was ihr Vater ihr so offensichtlich verheimlichte. Aber die Befürchtung, dass sie dann sofort ihre Sachen packen und nach Paris verschwinden würde, hatte ihn daran gehindert. Sie gefiel ihm. Er wollte nicht, dass sie wieder aus seinem Leben verschwand. Eigentlich konnte es ihm egal sein, an was sie sich erinnerte. Jetzt war sie hier. Und er würde sie so oft wie möglich sehen. Sie fand ihn nett, das war eindeutig. Vielleicht würde sie sich ja in ihn verlieben. Er würde jedenfalls alles dafür tun. Denn so viel
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