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Wilde Wellen

Wilde Wellen

Titel: Wilde Wellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Sadlo
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der Wind sich in den Felsen fing. Aber Xavier wusste es besser. Es waren die unerlösten Seelen der zwölf ertrunkenen Männer, die keine Ruhe finden konnten, solange ihr Tod nicht gesühnt war. Es gab Zeiten, da hörte man die gequälten Schreie nicht. Es schien dann, als hätten sie für immer aufgehört. Doch in letzter Zeit waren sie wieder oft zu hören. War die Zeit der Sühne endlich gekommen?
    Als Céline Xavier in der Ferne sah, ging ein Lächeln über ihr Gesicht. Es war ein bitteres, trauriges Lächeln. Sie wusste, dass er genau wie sie spürte, dass sich etwas verändern würde. Doch würden es gute Veränderungen sein? Der Schmerz, den sie in letzter Zeit in ihrem Herzen spürte, beunruhigte sie. Sie hatte immer gewusst, dass die Dinge einmal ans Licht kommen mussten. Und lange hatte sie geglaubt, dass dann alles gut werden würde. Dass endlich Frieden in die Seelen der Menschen einziehen würde, die sie liebte. Doch kündigte sich so Frieden an?
    Â»Sturm zieht auf«, sagte Xavier, als Céline bei ihm ankam. Seine schwielige Hand strich Merlin über das weiße Fell. »Bist du gewappnet?«
    Céline sah auf das Meer, das glatt unter dem wolkenlosen Blau des Septemberhimmels lag.
    Â»Ich habe keine Angst vor dem Sturm.«
    Xavier lächelte. Ja, sie hatte keine Angst. Nicht um sich.
    Â»Es wird nichts mehr so sein, wie es einmal war.«
    Â»Es geht um die Wahrheit. Vieles wird sie zerstören. Aber anderes wird erblühen. Auch wenn ich das vielleicht nicht mehr erlebe.«
    Céline hatte schon vor langer Zeit mit ihrem Leben abgeschlossen. Damals hatte sie ein paarmal daran gedacht, sich umzubringen. Sie hatte auf der Klippe gestanden, und es wäre nur ein sehr kleiner Schritt gewesen, ihrer unendlichen Qual ein Ende zu setzen. Doch es war Xavier gewesen, der sie zurückgehalten hatte.
    Â»Jeder Mensch hat eine Aufgabe zu erfüllen in der Zeit, die ihm gegeben ist. Hast du deine Aufgabe erfüllt?«
    Sie hatte nicht gewusst, was ihre Aufgabe war. Ein Kind großzuziehen, das wäre ihre Aufgabe gewesen. Aber dieser Pflicht hatte sie sich entledigt. Sie hatte dieses Kind weggegeben. Aus Selbstsucht. Und das Loch, das durch die Schuldgefühle in ihrem Herzen entstanden war, hatte sich nie mehr geschlossen.
    Â»Ich habe keine Aufgabe«, hatte sie gesagt. »Ein schlechter Mensch wie ich hat keine Aufgabe.«
    Doch Xavier hatte das nicht gelten lassen. Für Schuld muss man sühnen. Er hatte ihr in dieser dunklen Zeit, als Céline nicht den Schimmer einer Hoffnung gehabt hatte für ihr verpfuschtes Leben, den Weg gewiesen. Er hatte sie auf die verborgenen Fähigkeiten aufmerksam gemacht, mit denen sie den Menschen Gutes tun konnte. Und Céline hatte sich auf ein Abenteuer eingelassen. Sie hatte gelernt, ihren Fähigkeiten zu vertrauen. Und damit eine Möglichkeit gefunden, sich mit ihrem traurigen Leben zu arrangieren.
    Es war ein einsamer Weg geworden, den sie gegangen war. Aber sie wusste, dass das der Preis war, den sie zu zahlen hatte.
    Â»Ich wollte die Samen der Herbstzeitlosen einsammeln. Sie haben nicht so reich geblüht in diesem Jahr.«
    Â»Zwischen den Menhiren findest du ein ganzes Feld.«
    Es war mit den Herbstzeitlosen wie mit vielen anderen Dingen im Leben. Sie waren hochgiftig. Doch in der richtigen Menge angewandt konnten sie Leben retten. Sie verschwand zwischen den riesigen Menhiren und schnitt die zarten, verwelkten Blüten ab.
    Als sie sich nach Xavier umsah, um ihm für den Tipp zu danken, war er nicht mehr da. Am Horizont sah sie, wie die Hunde die kleine Schafherde zusammentrieben. Vom Schäfer war nichts mehr zu sehen. Wie sie ging er seinen einsamen Weg. Verschmolzen mit der überwältigenden Natur.
    Sie sah aufs Meer. Hatte Xavier recht? Würde der Sturm kommen, der alles durcheinanderbringen würde? Wieso gerade jetzt? All die Jahre war nichts geschehen. All die Jahre hatten sie hier gelebt, als wäre alles gut. Als sie die Schreie er toten Seeleute in der Ferne hörte, wusste sie, es war so weit. Sie klangen so nah und so durchdringend. Die Zeit der Sühne war gekommen.
4
    Paul liebte es, mit seiner Harley an der Küste entlangzufahren. Am liebsten nahm er die kleinen Seitenwege fern der Landstraßen. Es war nicht die Geschwindigkeit, die er genoss, sondern das Gefühl, der Natur nahe zu sein. Er hatte nie ein Auto besessen, obwohl ihm seine

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