Wilde Wellen
dagegen tun, dass sie ihn beschäftigte. Mehr, als er eigentlich wollte. Die Lösung hatte sich angeboten, als er die Ausschreibung der Stelle der Universität Brest gesehen hatte. Er hatte einen Deal mit sich gemacht. Wenn er die Stelle in Brest bekam, würde er sich Céline Marchand wenigstens ansehen. Wenn nicht, würde er weiter versuchen, sie zu vergessen
Und jetzt war er hier. In der Gegend, in der seine Mutter lebte. Und er wusste noch immer nicht, ob er sie wirklich sehen wollte.
Gerade, als er wieder auf das Motorrad steigen wollte, erfasste ihn eine Windböe. Vollkommen unerwartet zerrte sie an ihm. Warf ihn fast um. Und dann war da etwas, das ihn tief erschrecken lieÃ. Es war ihm, als hörte er Schreie. Schreie, die von weit entfernt an sein Ohr drangen. Was war das? Wer schrie da? Er konnte niemanden sehen. Ganz allein stand er an der Klippe und sah auf das Meer hinaus. Nun war es wieder ganz still. Nur die ewigen Schreie der Möwen, die über dem Wasser ihre halsbrecherischen Sturzflüge veranstalteten, waren zu hören. Und das ferne Blöken der Schafe, die am Horizont einem einsamen Schäfer folgten.
5
Laute Musik dröhnte durch das Schloss. Claire war wütend. Wie kam Caspar dazu, seinen Vater so lange warten zu lassen? Er hatte gesagt, er wolle sich nur schnell umziehen. Als sie die Tür zu Caspars Zimmer aufriss, warf sie der Lärm der Heavy-Metal-Musik fast um. Caspar riesiges Zimmer, das vollgestopft war mit wunderbaren alten Möbeln, Computern, einem überdimensionalen Fernseher und jeder Menge Surfer-Pokale und Fotos von den gigantischen Wellen der Weltmeere, schien unter den lauten Tönen zu vibrieren. Caspar stand vor dem Spiegel und strich sich die lockigen Haare mit Gel glatt.
»Dein Vater wartet auf dich. Was machst du so lange?«
Caspar sah sie im Spiegel. Drehte sich strahlend um, nahm seine Mutter in den Arm.
»Findest du wirklich, dass ich in so einer Uniform gut aussehe?«
Claire hatte ihm den schmalen schwarzen Anzug, der ihm wie eine zweite Haut passte, vor einigen Wochen gekauft. Sie hatte gehofft, dass er sich darin wohlfühlen würde. Und wieso auch nicht? Er sah toll aus in dem Designerstück.
»Du siehst groÃartig aus. Wie es sich für Leons Sohn gehört.«
»Okay, wenn du das sagst.« Es war klar, dass Caspar sich eher wie eine geschniegelte Modepuppe vorkam. Aber er wusste, wann er klein beigeben musste. Das hatte er schon immer gewusst. Wie oft hatte er Claire mit seinen verrückten Ideen auf die Palme gebracht. Um sie dann, genau in dem Moment, in dem sie zu explodieren drohte, mit seinem umwerfenden Charme einfach auszuknocken. Er küsste sie auf die Wange.
»Sorry, Maman, ich weià ja, dass ich ein Idiot bin. Ich versprech dir, ich werde von jetzt an ein folgsamer Junge sein.«
»Darum geht es nicht. Du sollst nichts tun, weil ich es so will. Du sollst es endlich einmal begreifen. Dein Vater zählt auf dich. Er braucht dich. Es ist deine verdammte Aufgabe, an seiner Seite zu sein.«
Es war wie immer. Claire hatte das Gefühl, dass Caspar sich nichts aus dem machte, was sie zu sagen hatte.
»Verdammt, Caspar, begreifst du nicht, dass du dabei bist, dein Leben zu verplempern? Es wird Zeit, dass du endlich Verantwortung übernimmst.«
»Und wenn ich andere Pläne hätte?«
»Was denn für andere Pläne? Du bist Leons einziger Sohn. Sein Erbe. Andere Leute wären froh, wenn sie so eine Chance bekämen. Aber du tust so, als wäre das alles vollkommen egal.«
Caspar unterdrückte einen leisen Seufzer. Sie wiederholte sich. Sie konnte einfach nicht damit aufhören, sein Leben gestalten zu wollen. Wieso lieà sie ihn nicht in Ruhe? Er war alt genug, um zu wissen, was er wollte. Oder zumindest, um zu wissen, was er nicht wollte. Und Fischhändler wie Leon wollte er um keinen Preis der Welt werden. Dass er sich heute darauf einlieÃ, Leon zu begleiten, hieà nicht, dass er endlich klein beigeben würde. Er hatte nur keine Lust auf diese ewigen Diskussionen. Und auÃerdem, heute war ein guter Tag. Er hatte Marie wiedergesehen. Er hatte ihre Haut berührt, er hatte ihren Duft gerochen. Und er hatte sie geküsst. Seine Stimmung war groÃartig. Es ging ihm super. Wieso sollte er da nicht mal ein kleines Opfer bringen? Ein, zwei Tage würde er tun, was seine Mutter von ihm erwartete. Und dann würde er sehen. Vielleicht würde
Weitere Kostenlose Bücher