Wilde Wellen
zu ergattern, die Florence kurz nach dem Tod ihres Mannes in ihrer eleganten Villa initiiert hatte â kleine, wichtige und hochinteressante Diskussionen, zu denen sie Kulturschaffende und Wissenschaftler lud. Sie hatte es in kurzer Zeit geschafft, sich einen Namen als herausragende Gastgeberin und vor allem als unentbehrliche Networkerin zu machen. Dass sie Paul sehen wollte, noch dazu zu einem kleinen, privaten Essen, konnte nur bedeuten, dass sie sich für seine Forschung interessierte und seine Arbeit fördern wollte. Sara war überzeugt davon, dass Florence LaRues Interesse Paul in kurzer Zeit in den Olymp der Wissenschaft heben würde.
»Kannst du mich nicht mitnehmen? Diese Frau ist mein Vorbild. Sie ist groÃartig. Sie hat Einfluss. Es ist eine absolute Ehre, sie kennenzulernen.«
»Wennâs der Wissenschaft dient. Okay, dann esse ich eben mit ihr. Aber, ehrlich gesagt, groÃe Lust hab ich nicht dazu.« Sara konnte es nicht fassen, wie lässig Paul mit dieser Einladung umging. »Hast du überhaupt einen vernünftigen Anzug? In Jeans kannst du jedenfalls da nicht erscheinen.«
Das war doch nicht zu fassen. Sollte er sich vielleicht ein neues Outfit zulegen nur für dieses Essen? Er dachte nicht daran.
»Sie wird mich schon nehmen müssen, wie ich bin. SchlieÃlich will sie mich sehen und nicht umgekehrt.« Und wenn Madame LaRue nicht gefiel, was sie sah â umso besser.
Claire war zufrieden. Nach Célines Tod würde es nichts mehr geben, was Paul Racine noch in Brest hielt. Wie gut, dass ihr ihre alte Freundin Florence eingefallen war. Natürlich hatte die schon etwas von Paul Racine gehört. Vor allem seine Arbeiten über die Steinmale im asiatischen Raum hatte die gebürtige Vietnamesin mit Interesse gelesen. Sie war Claire fast dankbar, dass sie sie darauf aufmerksam gemacht hatte, dass Paul Racine seit kurzer Zeit an der Uni Brest arbeitete, ausgerechnet der Uni, die schon so lange von der Familie LaRue unterstützt wurde. Wenn sich die Dinge so entwickelten, wie sie sich das vorstellte, würde Paul Racine Brest bald verlassen. Und keine Veranlassung mehr haben, hierher zurückzukommen.
Von drauÃen waren Schüsse zu hören. Wie so oft, wenn er nervös war oder ihm ein Problem zu schaffen machte, lenkte sich Leon durch WurftaubenschieÃen ab. Er beherrschte das eigentlich meisterlich. Doch jetzt hatte er schon sechsmal danebengeschossen. Claire beobachtete durchs Fenster, dass er sich eine andere Flinte geben lieÃ. Er hatte sich vor vielen Jahren eine Wurfmaschine zugelegt, die von seinem alten Gärtner Manuel bedient wurde. Leon wollte sich damit unabhängig machen von Klubs und SchieÃanlagen. Es ging ihm auch nicht darum, im Wettbewerb mit anderen zu schieÃen. Für ihn war der Sport nicht mehr als ein Konzentrationstraining.
»Vielleicht solltest du die Wurfmaschine mal wieder justieren lassen.« Claire spürte, wie unzufrieden Leon über seine schlechten Schüsse war. Leon gab ihr wortlos die Flinte in die Hand. Claire setzte Brille und Gehörschutz auf. Die Wurfscheibe wurde in den Himmel geschnellt. Und segelte unbeschädigt zu Boden.
»Sag ich doch; lass die Maschine durchchecken.«
Sie lächelte Leon an, als sie ihm die Flinte zurückgab. Er würde nicht erfahren, dass sie absichtlich danebengeschossen hatte.
»Ich muss sowieso ins Büro. Ich hab Caspar schon viel zulange allein gelassen.«
Er gab Manuel die Waffe. Der würde sie sicher im Waffenschrank in der groÃen Halle verstauen. Es war ihm klar, dass er mit dem SchieÃen nur den Zeitpunkt hinauszögern wollte, ins Büro zu gehen. Es graute ihm jedes Mal davor, an Célines Büro vorbeizukommen. Jedes Mal, wenn er den Gang entlangkam, blieb er vor der offenen Tür stehen. Lauschte. Aber er hörte ihre dunkle Stimme nicht mehr. Und es kostete ihn Ãberwindung, das leere Büro zu betreten, von dem aus eine Tür zu seinem Büro führte. Er konnte niemanden sagen, wie sehr ihm Céline fehlte. Es war, als hätte man ihm einen Arm abgeschnitten.
Der PfingstrosenstrauÃ, den Claire am Tag nach Célines Tod auf ihren Schreibtisch gestellt hatte, war längst verwelkt. Die schweren Blütenköpfe hingen bis auf die Tischplatte. Braun und unansehnlich. Aber er brachte es nicht übers Herz, den Strauà zu entfernen. Genauso wenig, wie er es übers Herz brachte, Célines
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