Wilde Wellen
kamen, mischen und zu einer trauriger Melodie verbinden, die Marie ins Herz schnitt. Wieso ich? Ich hab mit all dem doch nichts zu tun. Ich bin doch nicht einmal von hier. Ich hab Céline Marchand nicht einmal gekannt. Doch als sie den Schäfer fragen wollte, war er nicht mehr da. Als hätte er sich in den Nebelschwaden, die vom Meer heraufkamen, verflüchtigt.
»Hallo. Warten Sie, ich muss Ihnen noch ein paar Fragen â¦Â«
Doch sie bekam keine Antwort. Es war, als hätte sie die Begegnung mit dem Schäfer nur geträumt.
Paul fluchte leise. Der Nebel, der plötzlich vom Meer heraufkam, hatte die Arbeit am Menhir unmöglich gemacht. Für heute konnte er seine Messungen vergessen. Er hatte seine Geräte auf das Motorrad gepackt und war losgefahren. Vorsichtig hatte er sich die schmale StraÃe entlanggetastet, immer wieder anhaltend und angestrengt nach der StraÃenbegrenzung Ausschau haltend. An manchen Stellen führte die StraÃe dicht am Abgrund entlang. Zu dicht für eine Blindfahrt durch den Nebel, sollte sie nicht durch einen Sturz ins Meer beendet werden.
Alles war plötzlich ganz still. Der Nebel war so dicht, dass er alle Geräusche verschluckte. Das Rauschen der Wellen, die unheimlichen Schreie, das unentwegte Kreischen der Möwen. Marie stand ganz ruhig da. Die Stille schärfte ihre Sinne. Und doch sah sie nichts als weiÃe undurchdringliche Wände um sich herum, hörte nichts als das Geräusch ihres eigenen Blutes in ihren Ohren. Ihr Herz klopfte stark und ruhig. Sie hatte keine Angst, kam sich, im Gegenteil, seltsam geborgen vor. Sie würde einfach warten, bis der Nebel sich aufgelöst hatte. Als sie sich auf den Boden setzte und den Rücken an einen Felsen lehnte, war es ihr plötzlich, als hätte sie im Nebel einen Lichtschein gesehen. War da jemand?
»Hallo!«
Doch sie bekam keine Antwort. Es musste eine Sinnestäuschung gewesen sein. Oder war es doch kein Auto, dessen Fahrer sich vorsichtig den Weg durch die wabernde Suppe suchte? Es war Paul. Der urplötzlich aus der weiÃen Wand auftauchte. Und vollkommen überrascht war, Marie hier anzutreffen. Er stieg vom Motorrad.
»Marie!«
Sie ärgerte sich über die Erleichterung, die sie verspürte, als sie ihn sah. Als wenn sie auf jemanden gewartet hätte, der sie aus dieser Situation erlöste.
»Hast du dich verirrt?«
»Ich warte, bis der Nebel sich aufgelöst hat. Dann gehe ich nach Hause.«
Diese Distanz, die zwischen ihnen herrschte. Paul wollte das nicht zulassen. Natürlich, es war seine Schuld, dass sie so kühl war.
»Ich könnte dich fahren. Es geht zwar etwas langsam, aber immer noch besser, als hier herumzustehen und zu frieren. Meinst du nicht?«
Sollte sie trotzig sein? Ihn weiterfahren lassen? Und hier allein zurückbleiben? Wenn sie Pech hatte, würde der Nebel nicht weggehen, bevor es dunkel wurde. Und dann würde es noch kälter werden, als es jetzt schon war.
»Sara fliegt morgen nach Paris zurück.« Wenigstens das musste er ihr sagen. Er hatte es zwar noch nicht geschafft, ihr von Marie zu erzählen. â Nicht geschafft? Wenn er ehrlich war hatte er nicht den Mut gefunden. Sara war süà und lieb. Sie war gekommen, um ihn zu trösten. Er hatte einfach nicht die Worte gefunden, um ihr mitzuteilen, dass es aus sei zwischen ihnen.
»Es ist vorbei. Du musst mir das glauben. Es war schon vorbei, bevor wir uns wiedergesehen haben, Marie.« Vielleicht stimmte das sogar. Vielleicht hatte er es nur nicht so genau wissen wollen. Dass diese junge Frau nicht die Richtige war. Aber war er nicht auch deswegen nach Brest gekommen, um eine räumliche Distanz zu schaffen? Paul wusste, dass er sich etwas vormachte.
»Aber du hast es ihr nicht gesagt?«
»Es war einfach nicht die Gelegenheit. Marie, du musst mir glauben.« Wie konnte er erwarten, dass sie ihm glaubte, wo er doch selbst so ein schales Gefühl hatte wegen seines Verhaltens?
»Wenn ich von ihr gewusst hätte, wäre ich nicht gekommen.« Marie wollte nicht die Frau sein, mit der ein Mann seine Freundin betrog. Es stimmte, sie hätte sich nicht auf ihn eingelassen. Egal was zwischen ihnen entstanden wäre. Sie hatte immer darauf geachtet, anderen Frauen nicht weh zu tun. Nicht weil sie eine Heilige gewesen wäre. Sie hatte nur nicht das tun wollen, von dem sie nicht wollte, dass es ihr selbst geschah.
Was
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