Wilder als Hass, süsser als Liebe
warf.
»Möglicherweise hättest du durchaus Lust, mir etwas anzutun, aber du bist viel zu sehr Gentleman, egal, wie sehr ich es vielleicht verdiene.«
Es verbesserte ROSS’ Laune überhaupt nicht, daß er ihr im stillen recht geben mußte. Selbst in jener vernichtenden Nacht vor zwölf Jahren hatte er sie nicht berührt, und seine jetztige Wut war bloß ein schwacher Schatten von der damaligen.
»Und was war der Grund dieser kleinen Scharade?« fragte er, während er sich wieder sein Hemd überstreifte. »Willst du mich als Geisel gegen Lösegeld festhalten? Das wäre ziemlich überflüssig, wenn man die Summe betrachtet, die ich in den letzten zwölf Jahren an dich gezahlt habe.«
»Ich habe dich nie um Geld gebeten«, gab sie scharf zurück. »Du warst derjenige, der darauf bestanden hat.«
»Als dein Ehemann bin ich finanziell für dich verantwortlich.«
ROSS’ Blick wanderte über ihre Gestalt. Es war ihm unmöglich zu erkennen, ob der Körper unter den Stoffschichten weiblich war.
Hätte sie ihre Stimme weiterhin verstellt und den Tagelmoust angelassen, dann hatte er ihre Identität niemals erraten können.
»Im übrigen habe ich mir darüber Sorgen gemacht, auf welche Art du dir deinen Lebensunterhalt verdienen könntest, wenn ich dich nicht unterstütze.«
Sie begriff seine beleidigende Anspielung, und ihr Gesicht bekam Farbe. »Ross, verzeih mir, daß ich meinem verdrehten Sinn für Humor nachgegeben habe.«
»Ach, das sollte die kleine Szene sein - ein Spaß?« Seine Stimme triefte vor Ironie und Anzüglichkeit. »Dein Sinn für Humor ist mehr als verdreht. Er ist durch und durch bösartig geworden.«
»Hattest du tatsächlich Angst?« fragte sie mit einem Hauch von Überraschung. »Du hast mir nicht so ausgesehen.«
»Nur ein Narr hätte keine Angst, wenn er von bewaffneten Männern umzingelt ist, die feindlich sein könnten«, gab ROSS
trocken zurück. »Ich fand nur, daß meine Situation sich nicht verbessern würde, wenn ich mich beklage.«
Sie biß sich auf die Unterlippe. »Tut mir leid. Ich habe mich unmöglich benommen.«
»Du scheinst so auf mich zu reagieren.«
Juliet sah aus, als wollte sie ihm eine zornige Antwort an den Kopf schleudern, doch ein kleines Dienstmädchen, das gerade eintrat, hielt sie zurück. Das Mädchen trug ein Tablett mit ärztlichen Instrumenten und Tee, welches sie auf einem niedrigen runden Tisch abstellte, bevor sie sich verbeugte und wieder hinausging.
Die Unterbrechung gab Juliet die Zeit, sich wieder unter Kontrolle zu zwingen. »Es stimmt allerdings, daß du meine schlimmsten Eigenschaften in mir weckst«, gab sie bedauernd zu, während sie den dampfenden Tee in eine Tasse füllte und einen großen Löffel Zucker einrührte. Sie reichte ROSS die Tasse und fuhr dann mit unbewegtem Gesicht fort: »Ich war ein Muster an bescheidener, jungfräulicher Tugend, bevor ich dich kennenlernte.«
Dies war so ein glatter Unsinn, daß ROSS sich fast an seinem Tee verschluckte. Er war hin- und hergerissen zwischen Wut und widerwilligem Vergnügen. »Dein Gedächtnis scheint dir einen Streich zu spielen, Juliet«, ent-gegnete er, als er wieder reden konnte. »Du warst auch damals schon die Tochter des Teufels, du hattest nur noch nicht die Erfahrung, deine natürliche Lasterhaftigkeit auszuleben.«
»Und du hast weniger von einem englischen Gentleman, als ich dachte. Oder du würdest so etwas nicht erwähnen.«
Sie schenkte ihm ein flüchtiges, zögerndes Lächeln.
Dieses Lächeln ließ ROSS’ Herz einen seltsamen Satz machen. Es war typisch für Juliet, gleichzeitig zu verärgern und zu entwaffnen. Eben noch hatte sie ihn wie einen Sklaven behandelt, dessen Wert geschätzt wird, und nun erinnerte sie sich noch ganz genau, wie er seinen Tee mochte.
Sein Zorn begann zu verebben, was ein Glück war, denn er würde seinen ganzen Verstand brauchen, um mit dieser unmöglichen Frau fertig zu werden. Plötzlich müde und erschöpft, ließ er sich auf dem Diwan nieder.
Juliet holte das Tablett mit dem Verbandszeug und setzte sich neben ihn. »Zieh dein Hemd wieder aus«, sagte sie mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete.
ROSS wich zurück, als sie ihm helfen wollte. Ihre Berührung hatte ihn immer schon verstört, schon damals, als er noch nicht wußte, wer sie war, und nun würde es nur noch schlimmer sein. Seine Haut vor einem Arzt zu entblößen, war eine Sache. Dasselbe bei einer Frau zu tun, mit der in die Erinnerung an leidenschaftliche Stunden
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