Wilder als Hass, süsser als Liebe
im Moment so aus, als würde er mit dem Leben davonkommen, aber er nahm an, daß es ziemlich teuer werden würde, seine Freiheit wiederzuerlangen.
Schlimmer aber als die Summe selbst war die Tatsache, daß es Zeit brauchen würde, sie aufzubringen, und Zeit war weitaus kostbarer.
Während sie sich in östliche Richtung auf die Grenze zubewegten, umringten die Perser sein Pferd und nahmen ihm damit jede Möglichkeit zur Flucht. Er überlegte einen Moment, ob er mit dem Mann, der ihm am nächsten ritt, ein Gespräch anfangen sollte, entschied sich dann jedoch dagegen, denn es konnte durchaus von Vorteil sein, wenn er noch eine Weile für sich behielt, daß er Persisch verstand. Im übrigen hatte die Erfahrung ihn gelehrt, daß es im Zweifelsfalle immer besser war, den Mund zu halten.
Der Ritt dauerte eine gute Stunde lang, der Pfad wurde immer schmaler und steiler, bis sie schließlich hintereinander den Berg hinaufritten. Fast oben angelangt, machte der Weg eine scharfe Biegung, und plötzlich erhob sich eine gewaltige Festung drohend über ihnen.
»Serevan«, verkündete jemand hinter ihm.
ROSS zog beeindruckt die Luft ein, denn dieser Ort hatte nichts von einer schäbigen Dorfbefestigung, sondern war eine gewaltige Konstruktion, die an eine feudale Burg erinnerte. Geschickte Bewässerung hatte auf jedem anbaufähigen Stück Boden am Hang und im Tal darunter saftige Wiesen und Obstgärten entstehen lassen, und die Arbeiter, die sich auf den frühlingsgrünen Feldern aufhielten, wirkten kräftig und wohlhabend, ganz im Gegensatz zu den meisten Menschen, die in diesem gefährlichen, oft geplünderten Grenzland lebten.
Wie bei vielen Bauten in Zentralasien bestanden die Mauern der Gebäude und der Festung aus mörtelbedeckten Lehmziegelsteinen, und sie leuchteten blaßgold in der Nachmittagssonne. Als die Truppe durch das Tor hineinritt, bemerkte ROSS, daß die Gebäude schon sehr alt aussahen, sie mußten jedoch in den letzten Jahren aufwendig restauriert worden sein. In diesem Teil der Welt gab es viele verlassene Unterschlüpfe, und vielleicht war Serevan bis vor kurzem ein solcher gewesen.
Gul-i Sahari erhob eine Hand, und die Männer zügel-ten ihre Pferde vor einem Palast, der das Zentrum der Festung bildete. Als der Targi abstieg, liefen ein paar Jungen von den Ställen herüber, um die Pferde zu übernehmen, während ein graubärtiger Mann aus dem Palast trat. Gul-i Sahari sprach kurz mit dem Mann, der offenbar Usbeke war. Dann wandte er sich zu ROSS. »Kommen Sie!« befahl er.
ROSS gehorchte, und die anderen Reiter folgten ihm in das Gebäude. Der Palast hatte die Aura eines sehr alten Gebäudes, aber er war gut instand gehalten worden, hatte saubere, weiß getünchte Wände und hübsche, gekachelte Böden. Gul-i Sahari führte sie in einen großen Empfangsraum, der in traditioneller östlicher Schlichtheit gehalten war. Gepolsterte Diwane säumten die Wände, und dicke, helle Teppiche bedeckten den Boden.
Die Männer stellten sich in einem lockeren Kreis um den Fremden, und der Targi musterte ROSS. Er hatte seine Reitpeitsche mit hineingebracht und zog nun wie abwesend den Lederriemen durch seine schmalen, fein-gliedrigen Finger. Mit seiner heiseren, flüsternden Stimme fragte er: »Die Turkmenen sind Menschenhändler. Wollten sie Sie als Sklaven verkaufen?«
»Sie waren hin- und hergerissen zwischen dieser Möglichkeit und der, mich sofort umzubringen. Ein übles Pack.« ROSS verlegte sich auf seine beste britische Gelassenheit. Die Luft um ihn herum war mit einer unterschwelligen Spannung angefüllt, und da er nicht wußte, was mit ihm geschehen würde, befolgte er die Grundregel des Überlebens, niemals Furcht zu zeigen, ganz so, als wären seine Entführer ein Rudel Hunde, die bei dem kleinsten Anzeichen von Furcht zubeißen würden. »Ich habe Empfehlungsschreiben vom Schah und von verschiedenen einflußreichen Mullahs bei mir, und ich bin lebend mehr wert als tot.«
»Ich kann mir denken, daß Sie sehr viel wert sind, Monsieur.«
Gul-i Sahari begann, ROSS mit katzenhafter Eleganz zu umkreisen.
Plötzlich verlangte er schneidend: »Ziehen Sie Mantel und Hemd aus.«
Es konnte vielerlei Gründe für solch einen Befehl geben, und jeder einzelne bereitete ROSS Unbehagen. Er überlegte einen Moment, ob er sich weigern sollte, verwarf die Idee aber als höchst dumm. Obwohl er der größte Mann in diesem Raum war, waren die anderen doch mit sechs in beträchtlicher Überzahl, und er konnte sich
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