Wilder als Hass, süsser als Liebe
vorstellen, daß die Perser nicht zimperlich mit ihm umgehen würden, wenn sie den Befehl ihres Anführers erzwingen wollten.
Er fühlte sich wie ein Sklave, der sich vor einem potentiellen Käufer ausziehen mußte, streifte jedoch wortlos seine zerfetzten Kleider ab und ließ sie zu Boden fallen. Ein interessiertes Murmeln ging durch die Gruppe, als ROSS seinen Oberkörper entblößt hatte. Er war sich nicht sicher, ob sie von der Blässe der englischen Haut, von den flammendroten Prellungen und Abschürfungen oder von den häßlichen Narben einer Kugel beeindruckt waren, die ihn vor anderthalb Jahren fast getötet hatte.
Wahrscheinlich alles drei.
Gul-i Sahari blieb vor ROSS stehen. Einmal mehr verfluchte ROSS
den Tagelmoust, der es ihm unmöglich machte, die Miene seines Gegenübers zu interpretieren.
Mit äußerster Präzision zeichnete der Targi mit dem Griff seiner Reitpeitsche die Narbe nach, wo die Kugel aus seinem Körper ausgetreten war. Diese und die Eintrittswunde auf seinem Rücken waren mit der Zeit verblaßt, wirkten aber immer noch dramatisch genug. Dann strich Gul-i Sahari mit dem Griff über die zerschundenen Stellen
auf Brust und Armen seines Gefangenen. Es lag eine seltsame Zärtlichkeit in dieser Geste, und sie beunruhigte ROSS weitaus mehr, als Brutalität es getan hätte.
Lautlos umkreiste der Verschleierte ihn und berührte die Narbe auf seinem Rücken. Als der schwingende Lederriemen über seine Rippen glitt, fühlte ROSS einen Schauder des Entsetzens. Bei der seltsamen Atmosphäre in diesem Raum konnte er nicht abschätzen, ob er eine Liebkosung oder einen plötzlichen Peitschenhieb zu erwarten hatte. Beides schien ihm möglich, beides gleichermaßen abstoßend.
Äußerlich ungerührt sagte er: »Tut mir leid wegen der Narben. Sie werden meinen Wert ein wenig mindern, wenn Sie beabsichtigen, mich zu verkaufen.«
Scharf antwortete Gul-i Sahari: »Für den richtigen Käufer wirst du immer noch einen hübschen Penny wert sein, Ferengi.«
ROSS erstarrte schockiert. In seinem Ärger hatte der Targi vergessen zu flüstern. ROSS’ Herzschlag beschleunigte sich, denn die heisere Stimme kam ihm erschrek-kend vertraut vor. Vertraut und weitaus einschneidender als alles andere, was heute schon geschehen war.
Es war unmöglich. ROSS wirbelte herum und starrte seinen Entführer an. Die Größe stimmte, ebenso der fein-gliedrige Körperbau und die geschmeidigen, weichen Bewegungen. Er versuchte, die beschatteten Augen hinter dem Tagelmoust besser zu sehen. Waren sie wirklich schwarz wie die der meisten Tuareg, oder eher von jenem wandelbaren Grau, das von Quarz zu Rauch wechseln konnte?
Spöttisch bemerkte Gul-i Sahari: »Was ist los, Ferengi? Hast du einen Geist gesehen?«
Dieses Mal war die Stimme nicht zu verkennen. Mit einem Anflug der gewaltigsten Wut, die er seit zwölf Jahren verspürt hatte, trat ROSS entschlossen vor, packte den Zipfel des Schleiers und riß ihn herunter, um Gul-i Saharis Gesicht zu enthüllen.
Das Unmögliche war wahr. Sein Entführer war kein Targi Sein Entführer war Juliet, seine geflüchtete Frau.
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Kapitel 3
JULIET WICH NICHT zurück, sondern musterte ihn nur mit kühlen, wachsamen Augen. Ihr leuchtend rotes Haar war lässig zu einem schweren Knoten im Nacken zusammengefaßt, und sie sah so schlank und edel wie ein fein ziselierter Dolch aus. Eine Augenbraue hochziehend, sagte sie auf Englisch: »In Anbetracht der Tatsache, daß du dich in meiner Festung aufhältst und von meinen Männern umzingelt bist… findest du nicht, du solltest ein wenig mehr weise Vorsicht walten lassen, ROSS?«
Er war zu wütend, um darauf einzugehen. Er ließ seine Hand von dem Schleier fallen und fauchte: »Na los, Juliet, streng dich richtig an. Wie du es immer getan hast!«
Ihre Augen verengten sich. Dann wandte sie sich zu ihren Männern um und bedeutete ihnen mit einer schnellen Geste, den Raum zu verlassen. Der alte Usbeke schien nur widerwillig gehen zu wollen, bis Juliet auf Persisch versicherte: »Mach dir keine Sorgen, Saleh. Der Ferengi und ich sind gut bekannt. Bitte, laß warmes Wasser, Bandagen und Salbe hereinbringen, vielleicht auch Tee.«
Immer noch innerlich brodelnd, meinte ROSS erregt: »Dein Freund Saleh könnte zu Recht fürchten, daß ich dir den Hals umdrehe.«
Juliet richtete ihren Blick wieder auf ihn, während sie den Schleier von ihrem Kopf wickelte. »Unsinn«, antwortete sie ruhig, als sie den dunklen Stoff über einen Diwan
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