Wilder als Hass, süsser als Liebe
verband, war etwas ganz anderes. Aber seine Verletzungen mußten behandelt werden, und unter diesen Umständen war Schamgefühl lächerlich. Er zwang sein Unbehagen beiseite und zog das Hemd aus.
»Du bist heute im sprichwörtlich letzten Moment eingetroffen.
Wie konnte das sein?«
»Mir ist zu Ohren gekommen, daß ein Europäer mit zwei Dienern in dieser Gegend unterwegs ist, und die Bande der Turkmenen wurde ebenfalls gesichtet«, erklärte sie. Sie befeuchtete ein Stück Stoff und begann, vorsichtig den Schmutz und das getrocknete Blut von seinem rechten Handgelenk abzuwaschen, das den Sturz hatte abfan-gen müssen. »Aus einem Impuls beschloß ich einzugreifen, bevor die Idioten auf dem Sklavenmarkt von Buchara enden würden.«
Die Wärme und die Süße des Tees beruhigten seine Nerven ein wenig, und ROSS lehnte sich in den Polstern zurück, um sich etwas Entspannung zu gönnen. Vermutlich war das der seltsamste Tag seines Lebens. Nach so vielen Jahren hier mit Juliet zu sitzen, und sie, die ihn flickte wie einen alten Mantel - das war einfach zu unwirklich, um es zu glauben. Und doch war ihre Gegenwart zu intensiv, um sie zu leugnen. Er war sich körperlich der Wärme ihrer Finger, ihres schwachen würzigen Duftes bewußt. Sie dagegen schien ziemlich ungerührt durch die Nähe ihres Mannes.
In dem Bedürfnis, das Schweigen zu brechen, sagte er: l »Spielst du oft den rettenden Engel für dumme Reisende?«
»Wenn ich von möglichem Ärger höre, tue ich, was ich kann.«
Juliet begann, Salbe auf seinen zerschundenen Oberarm zu streichen, aber obwohl ihre Finger geschickt und sanft vorgingen, war das Resultat keinesfalls beruhigend. Es tat weh, und ROSS
hätte aus der Haut fahren können.
Nun widmete sie sich seiner rechten Seite und begann, dort die Schnitte und Schrammen zu behandeln. »Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, daß es ein beträchtlicher Schock war, herauszufinden, daß du der Ferengi warst.«
»Das bezweifle ich nicht, aber warum hast du dich mir nicht sofort zu erkennen gegeben? Ich fand das kleine Spiel nicht gerade witzig.«
Sie zögerte. »Ich hatte nicht vor, mich überhaupt zu erkennen zu geben. Ich wollte dich auf deinen Weg schicken, ohne zu enthüllen, wer ich bin.«
»Dann hättest du deinem Drang nicht nachgeben dürfen, mich vor deinen Männern zu demütigen.« Seine Stimme kam gepreßt. »Bis zu diesem Moment hatte ich keinen Verdacht.«
Wieder färbten sich ihre Wangen, und sie beschäftigte sich plötzlich ausgesprochen intensiv damit, einen tiefen, immer noch blutenden Schnitt an der Außenseite seiner Hand zu säubern.
»Ich wollte dich nicht demütigen. Glaub es oder nicht, aber der Hauptgrund, warum ich dir sagte, du solltest dein Hemd ausziehen, war Sorge. Als wir auf dem Schauplatz eintrafen, sah es so aus, als ob du ernsthaft verletzt wärest. Zuerst dachte ich sogar, du wärst… tot, denn ich hatte gesehen, daß der eine Turkmene aus kürzester Entfernung auf dich schoß.«
»Es ist nicht leicht, ein bewegliches Ziel von einem Pferderücken aus zu treffen.« Er stöhnte auf. »Aber ich wünsche mir, daß Dil Assa sich jetzt schwarz ärgert, weil er so miserabel gezielt hat.«
»Wahrscheinlich ist er noch zu sehr damit beschäftigt, meinen Männern zu entkommen, um sich darüber Gedanken zu machen.«
Juliets Stimme klang beiläufig, aber sie hatte noch zu gut in Erinnerung, wie entsetzt sie vorhin gewesen war, als sie ihren Ehemann auf dem felsigen Boden erkannt hatte. Sie hatte niemals geglaubt, ROSS wiederzusehen - ganz sicher hatte sie niemals vermutet, er würde vor ihren eigenen Augen umgebracht. »Während es schnell deutlich wurde, daß du nicht tot bist, sahst du jedoch ziemlich zerschrammt aus, und du hast dich bewegt, als hättest du große Schmerzen. Als wir hier ankamen, war ich mir nicht sicher, ob du nur tapfer sein wolltest und vielleicht ernster verletzt warst, als du selbst annahmst. Also beschloß ich, vorsichtshalber selbst nachzusehen.«
»Vielleicht war Sorge ja dein Hauptgrund, aber das schließt weitere Motive ein. Welche waren es?«
Juliet spürte, wie sie erneut rot wurde, und sie verfluchte den klaren hellen Teint der Rothaarigen, der zu oft ihre Gefühle offenbarte. »Du warst so … so verdammt ungerührt trotz der Umstände. Ich konnte nicht anders, als dem unwürdigen Drang nachzugeben, dich zu irgendeiner Reaktion zu bringen.« Sie war nun fertig mit ihrer Aufgabe und legte das Verbandszeug wieder auf das Tablett
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