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Wilder Oleander

Wilder Oleander

Titel: Wilder Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Harvey
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blonde Braue wölbte sich. Ein Drink?
    Sie ließen sich in einer Bar im Freien nieder, neben der großen Voliere. Die Pärchen, die dort bereits saßen, waren mit sich beschäftigt. Ein naher Wasserfall verbreitete einen Dunstschleier, man kam sich vor wie am Meer, das hundert Meilen weit weg war.
    »Wie sind Sie zu Mr.Superhirn geworden?« Coco wollte einerseits das Zusammensein mit ihm genießen, andererseits aber auch bald ihr Ziel weiter verfolgen.
    »Der Auftritt im Nachtclub hat nichts mit meinem eigentlichen Beruf zu tun.«
    Eine klare Auskunft war das nicht unbedingt. »Und der wäre?«
    »Kodieren.«
    »Geheimcodes! Faszinierend. Navajo Wind Talkers. Ultra im Zweiten Weltkrieg. Verschlüsselte Botschaften, die zum Heiligen Gral führen.«
    Er räusperte sich. »Ehrlich gesagt, schreibe ich Computer-Handbücher.«
    »War mir schon klar.« Sie nippte an ihrem Tequila Sunrise. »Und wie wurden Sie zu Mr.Superhirn?«
    Er zuckte die Schultern. »Es bot sich einfach an. Mein gutes Gedächtnis und so. Und wie kommt’s, dass Sie in Menschen hineinsehen können?«
    Sein Ablenkungsmanöver stachelte ihre Neugier an. Reizte sie ebenso wie der blonde Flaum auf seinen Unterarmen und die schön geformten Hände. Wie er wohl im Bett war? »Mir steht ein guter Geist zur Seite. Daisy«, sagte sie, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Nach dieser Bemerkung mussten die Männer meistens ganz dringend eine Schachtel Zigaretten besorgen und ließen sich dann nicht mehr blicken. »Sie war sechzehn und kam 1868 beim Brand eines Hauses in London ums Leben. Zum ersten Mal sprach sie zu mir, als ich acht war.«
    »Muss unheimlich gewesen sein. Ihre Eltern haben bestimmt gedacht, da wäre ein unsichtbarer Freund.«
    »So war es tatsächlich.« Sie zwirbelte den kleinen Obstspieß zwischen den Fingern. Lieber hätte sie mit etwas anderem gespielt; da aber Kenny nicht derjenige welcher zu sein schien, wollte sie davon absehen, ihm Avancen zu machen. »Wenn Sie Computer-Handbücher verfassen, wieso hat es Sie dann hierher verschlagen? Silicon Valley ist weit weg.«
    »Ich wurde verpflichtet. Vanessa Nichols hat meinen Auftritt im Nachtclub gesehen und mich daraufhin eingeladen.«
    »Was halten Ihre Freunde und Ihre Familie von dieser Nebenbeschäftigung?«
    »Da gibt’s keine Probleme«, meinte er lediglich, und Coco spürte tiefer liegende Geheimnisse, an die selbst sie nicht herankam.
    »Sie wurden also mit einem Wahnsinnsgedächtnis geboren.« Unwillkürlich fühlte sie sich zu ihm hingezogen. Irgendwie schien er verletzlich zu sein, obwohl er mit seinen eins achtzig und überhaupt den Eindruck erweckte, seinen Mann zu stehen.
    »Wahnsinnsgedächtnis? Ja, so kann man das wohl nennen.« Er starrte in seinen Irish Coffee, den er noch nicht angerührt hatte. Ganz kurz fiel ein Schatten über sein Gesicht. »Ich erinnere
mich an alles, Coco. An Schlimmes wie an Gutes. Die meisten Menschen verstehen sich darauf, böse Erinnerungen zu verdrängen, keinen Gedanken mehr an schreckliche Dinge in der Vergangenheit zu verschwenden. Ich kann das nicht. Jeder Augenblick meines Lebens ist für immer hier oben gespeichert.« Er tippte sich an die Schläfe. »Ich habe alles versucht – Drogen, Hypnose, Therapie. Ich verbrachte sechs Monate im Carl-Jung-Institut in der Schweiz, wo man mich beobachtete, vermaß, testete. Ich war so eine Art Laborratte und musste zu guter Letzt das Weite suchen.«
    Coco wusste zunächst nichts darauf zu sagen. Ein Mann wie er war ihr noch nie untergekommen. »Ein derart gutes Gedächtnis«, meinte sie dann, »hat gewiss auch Vorteile. Man vergisst keine Geburtstage, keine Hochzeitstage.«
    »Das ist ja das Elend. Ich war mal mit einer Frau liiert und wusste natürlich, wann sie Geburtstag hat. Als es wieder mal so weit war, wusste ich außerdem von vergangenen Geburtstagen her, was sie sich wünschte. Das Problem war nur, dass ich ausgerechnet in dieser Zeit mit Arbeit bis obenhin eingedeckt war, Überstunden machen musste, erst spätabends nach Hause kam. Kein Geschenk besorgen konnte. Dass ich ihren Geburtstag nicht vergessen würde, wusste meine damalige Freundin, aber dass ich einfach nicht das Geringste dafür vorbereitet hatte, war für sie ein schlimmeres Vergehen als gar keinen Gedanken an dieses Fest zu verschwenden. Mit einer anderen Freundin hatte ich einmal einen heftigen Krach, in dessen Verlauf sie mich als Freak bezeichnete. Wir versöhnten uns wieder, aber am nächsten Morgen meinte sie: ›Das mit dem

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