Wildes Blut
seitdem kümmere, waren mir ein großer Trost. Gemeinsam haben wir es irgendwie geschafft, damit fertigzuwerden, und Indias Bruder, der kurz nach ihrem Tod hier ankam, ist eine große Hilfe.« Rachel hielt inne, überwältigt von der Erinnerung an ihre Freundin. Dann verdrängte sie bewußt den Schmerz und sagte: »Aber jetzt erzähl mir von dir und deinen Reisen, Seeks. Du siehst gut aus, und die Winterjagd war gut für dich wie immer, wie ich sehe.« Sie zeigte auf die schwerbeladenen Packmulis.
Der Indianer nickte. »Ja, die Wintermonde waren kalt, aber großzügig«, stimmte er zu, »wie der letzte Strahl der sterbenden Sonne, bevor der Schnee das Land überzieht. Ich habe nur genommen, was ich brauche – und selbst das hat mein Herz mit Trauer erfüllt. Seit dem Kommen des Weißen Mannes ist der mächtige Büffel gestürzt, und jetzt wird er sich bald nicht mehr erheben. Jetzt schon sind seine gebleichten Gebeine wie der Wind über das Land verstreut und erzählen ihre Geschichte. Aber die Weißen haben ihre Augen und Ohren verschlossen und hören und sehen nicht. Es macht mein Herz schwer, Wildblumenfrau, denn wenn der letzte Büffel verschwunden ist, werden auch die alten Bräuche verschwunden sein.« Seeks seufzte und starrte in die Ferne, als sähe er den Wind der Veränderung, dessen Kommen er prophezeit hatte.
Mit einem Ruck kehrte er wieder in die Gegenwart zurück und fuhr fort: »Aber diese Zeit kommt nach meiner, und das erfüllt mein Herz mit Freude. Komm, Wildblumenfrau. Du mußt dir ein Fell aussuchen, wie immer, und ich habe auch ein paar Kleinigkeiten für die Kinder.«
Seeks ging zu den Packmulis, band die Bündel mit den Häuten los und breitete die Pelze auf dem Boden aus. Rachel sah das, was er ihr erzählt hatte, bestätigt. Er hatte nur wenige Büffelhäute, aber sie würden in der Stadt einen guten Preis bringen. Deshalb nahm sie einen schwarzen Wolfspelz, aus dem sie vielleicht eine Weste oder Handschuhe machen konnte, vielleicht für Slade für den nächsten Winter. Sie bedankte sich bei Seeks für das Geschenk, dann bat sie ihn in das Blockhaus.
Andrew, der bis jetzt höflich gewartet hatte, wenn auch nicht sehr geduldig, kam aufgeregt angelaufen, um den Indianer zu begrüßen. Naomi war noch zu klein gewesen, um sich an seinen letzten Besuch zu erinnern, und blieb in einiger Entfernung ehrfurchtsvoll und ein bißchen verängstigt stehen. Aber Seeks hatte sie bald für sich gewonnen, und nachdem er seinen Pinto und die Packesel im Stall untergebracht hatte, folgte er den Kindern ins Haus, wo Rachel gerade versuchte, das weinende Baby zu beruhigen.
Seeks merkte, daß sie Schwierigkeiten hatte, und musterte Toby eindringlich. Der Indianer streckte die Hand aus, steckte seinen Zeigefinger in den Mund des weinenden Babys und fuhr prüfend über Tobys Kiefer. Daraufhin zog ein breites Grinsen über sein Gesicht.
»Kleiner bekommt ersten Zahn, Wildblumenfrau«, stellte er zufrieden fest. »Braucht Süßholz. Das zu erkennen, braucht man keine erfahrene Medizinfrau zu sein.«
Rachel lächelte beschämt über Seeks’ liebevollen Tadel. Das hätte sie tatsächlich merken müssen. Sie lief in die Küche, wo ein großer Korb frischer Kräuter und Blumen stand, die sie erst heute morgen gesammelt hatte. Das Süßholz blühte gerade, und sie nahm eine der rötlich braunen Pflanzen, schnitt sie ab und säuberte die süße Wurzel. Schon bald kaute Toby, von seinen Zahnschmerzen befreit, zufrieden den rohen Stengel.
Als die Sonne unterging, kehrten Slade, Fremont, Poke und die übrigen Kinder in das Blockhaus zurück. Seeks wurde von »Mann, der auf Baumast geht« und »Büffelmann«, wie er Fremont und Poke vor Jahren getauft hatte, herzlich begrüßt. Dann wandte sich der Indianer Slade zu, und nachdem er ihn lange und eindringlich gemustert hatte, erklärte er sachlich: »Und dich werde ich ›Hundesoldat‹ nennen, denn ich spüre, daß du ein tapferer Krieger bist, der viele Siege gezählt hat.«
An diesem Abend und an vielen folgenden Abenden saßen der Revolvermann und die Kinder bis weit in die Nacht, fasziniert von seinen Geschichten, vor Seeks, während er mit verschränkten Beinen auf dem Boden saß und seine lange, mit Perlen und Federn verzierte Pfeife rauchte. Tagsüber ritt er mit seinem Pinto in die Stadt oder suchte Kräuter und Wiesenblumen, um seine Vorräte zu ergänzen, oder meditierte in dem Tipi, das er neben dem Haus errichtet hatte, so daß Rachel nur wenig
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