Wildes Blut
geprägt von dem harten und primitiven Leben, das er führte. Sein loses weißes Hemd mit den langen Ärmeln war bis zum Hals zugeknöpft. Um den Hals trug er ein fröhlich gemustertes Tuch, dessen Enden in eine verzierte Messingschnalle geknüpft waren, dazu viele Lederschnüre mit bunten Perlen und zwei weiche, buschige Waschbärschwänze. Seine Beine steckten in gefransten Hirschlederhosen, und an den Füßen hatte er abgetragene Mokassins. Er sah genau aus, wie Rachel ihn in Erinnerung hatte, als hätten sich nur die Jahreszeiten geändert, nicht aber er.
Sie war gerade dreizehn gewesen, als sie ihn während ihres ersten öden, bitteren Winters in der Prärie gefunden hatte. Seeks war von einer Gruppe skrupelloser, betrunkener weißer Händler angegriffen, zusammengeschlagen, ausgeraubt und dann totgeglaubt liegengelassen worden. Aber irgendwie hatte er es geschafft, sich über die Ebene zu schleppen, auf das Licht zu, das wie ein Leuchtfeuer aus dem Fenster des dunklen, feuchten Hauses geschienen hatte, in dem sie damals wohnten. Als sie hinausging, um Schnee zum Schmelzen auf dem Herd zu holen, da das Wasser im Brunnen festgefroren war, hatte sie ihn halberfroren auf dem eisigen Boden gefunden. Fremont, Poke und Ulysses, ihr Vater, hatten ihn ins Haus gezerrt, damit er am Feuer auftauen konnte, während sie und Victoria, ihre Mutter, eilig dampfenden Tee mit Brandy, heiße Suppe und dicke, weiche Decken herbeiholten, um ihn zu wärmen.
Nach einigen Tagen hatte Seeks sich allmählich erholt, und nachdem er erfahren hatte, daß Rachel ihn zuerst entdeckt hatte, sah er in ihr fortan seine Lebensretterin. Zum Dank hatte er sie im Lauf der Jahre alle Geheimnisse, die er beherrschte, gelehrt, sowohl die der Indianer als auch die des Weißen Mannes und hatte in ihr eine eifrige und willige Schülerin gehabt.
Rachel liebte ihn, wie sie ihren Großvater und Poke liebte, von ganzem Herzen und mit größtem Respekt. Aber mit Seeks verband sie etwas Besonderes. Beide waren eins mit dem Land. Sie war überglücklich, daß er hier war, denn seine Ankunft hatte stets irgendwie einen Teil der schweren Last von ihrer Schulter genommen. Seeks weiser Rat würde ihr auch dieses Mal helfen. Ihm konnte sie Dinge anvertrauen, die sie nicht einmal Poke oder ihrem Großvater sagen konnte, denn beide hätten sie nur geneckt oder verurteilt. Seeks verurteilte niemanden, weder Mann noch Frau, weder gut noch schlecht. Er hörte nur zu und überlegte lange, bevor er seinen Rat gab. Während sie ihn so ansah, wäre Rachel dem Indianer am liebsten um den Hals gefallen und hätte ihm ihr Herz ausgeschüttet. Aber sie hielt sich zurück, denn das war nicht Seeks’ Art, und er hätte sie freundlich, aber bestimmt zurückgewiesen.
Doch er schien ihr Bedürfnis zu spüren. Langsam streckte er die Hand aus und legte sie behutsam und liebevoll auf ihren Kopf. Obwohl er sie liebte wie seine eigene Enkelin, war das die einzige körperliche Liebesbezeugung, die Seeks ihr gegenüber je gezeigt hatte. Ihr blondes Haar faszinierte ihn. Es war wie maisfarbene Seide, und er faßte es gerne an, es war so weich, und vielleicht glaubte er, auf diese Weise das Geheimnis seiner goldenen Farbe entdecken zu können. Jetzt war es weißblond, gebleicht und gesträhnt von der Sommersonne, die auch Rachels Haut honigfarben gebräunt und ihre Nase und Backenknochen mit Sommersprossen übersät hatte. Bei seiner Berührung schloß sie die Augen. Sie fühlte, wie sein innerer Frieden und seine Liebe sie durchströmten, als sei er ein Priester, der sie segnete. Dann, nach einem Augenblick, zog er die Hand zurück und sagte: »Dir geht es gut, Wildblumenfrau«, sagte er mit seiner tiefen, sonoren Stimme. Diesen Indianernamen hatte er ihr vor Jahren gegeben. »Aber in deinen Augen sind Schatten, die vor vielen Monden nicht da waren, und dein Herz singt und weint zugleich.«
»Ja«, erwiderte Rachel, denn das stimmte genau. »Es ist viel passiert in den Monden deiner Abwesenheit, ich werde dir alles erzählen. Das Schlimmste war der Tod meiner lieben Freundin India im vergangenen Winter, die, die du ›Rabenfrau‹ nanntest.«
»Es tut mir leid, so traurige Nachricht zu hören, Wildblumenfrau, und mein Herz trauert um sie. Es ist schwer, einen Freund zu verlieren. Sie war eine gute Frau, eine treue und ehrliche Schwester für dich, und ich weiß, daß sie dir fehlt.«
»Ja, es war ein schrecklicher Verlust für mich, Seeks, doch ihre acht Kinder, um die ich mich
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