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Wildes Blut

Wildes Blut

Titel: Wildes Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Brandewyne
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Einsamkeit hatte sie um den Mond geweint und nie begriffen, daß vielleicht auch der Mond weinte, weil auch er allein war, weit mehr, als sie es je gewesen war.
    Slade hatte keinen anderen Menschen.
    Die Erkenntnis traf Rachel wie ein Schlag und trieb ihr die heißen Tränen in die Augen. Er war von seinem tyrannischen Vater ohne einen roten Heller aus seinem Heim verstoßen worden, sogar seinen Namen hatte man aus der Familienbibel gestrichen, als hätte er nie existiert. Seine Mutter war jung gestorben …
    Wenn die Mutter stirbt, passiert etwas in deinem Inneren … es macht dich älter als du bist. Ich sollte das wohl am besten wissen.
    Die Tränen liefen bei der Erinnerung an ihre Worte an ihn über ihre Wangen. Ja, ich weiß, hatte Slade erwidert, und er wußte es wirklich, aber sie hatte nicht darauf geachtet, hatte sein Geständnis brutal verdrängt, weil sie viel zu beschäftigt mit ihren eigenen Gefühlen gewesen war. Und in ihrer tiefen Trauer um Indias Tod hatte sie da nicht auch Slades eigene Trauer und Qual übersehen? India war schließlich seine Schwester gewesen, und er hatte sie geliebt. Aber er hatte nicht einmal eine Chance gehabt zu sagen, wie sehr er sie geliebt hatte. Jetzt war es zu spät. India war tot, wie alle, die Slade geliebt hatte, tot waren, selbst das unbekannte Mädchen in New Orleans … Oh, grausam, grausam, daß sie das nicht zuvor bedacht hatte! Schreckliche Schuldgefühle stiegen in ihr auf.
    Wie um alles in der Welt sollte Slade über Liebe sprechen können? Er hatte in seinem Leben so wenig davon bekommen, und die er erfahren hatte, war ihm brutal entrissen worden. Hatte er vielleicht sogar Angst davor, sie zu lieben oder, wenn er sie liebte, davor, seine Gefühle in Worte zu fassen, weil auch sie ihm entrissen werden könnte? Hatte er vielleicht seine Gefühle so tief in sich begraben, daß er gar nicht mehr wußte, was sie waren? Die Erkenntnis brach Rachel das Herz, denn hatte Slade nicht versucht, ihr genau das zu sagen? O ja, ja, das hatte er! Auf seine eigene Art, weil ihm doch etwas an ihr lag, irgendwie, irgendwo, tief in seinem Innern hatte er es tatsächlich versucht, obwohl solche Worte ihm nicht leicht über die Lippen kamen.
    Und jetzt, da sie nicht mit dem Herzen im Auge, sondern mit den Augen im Herzen sah, entdeckte sie da nicht unter seinem harten, arroganten, spöttischen Äußeren den verlorenen, einsamen kleinen Jungen, der tief in ihm schlummerte, und der darum bat – auf die Art, die er kannte –, erhört zu werden?
    Was ist mit den Tränen des Hundesoldaten, Wildblumenfrau? Was ist mit seinem Schmerz?
    Rachel begrub ihr Gesicht in den Händen und weinte bitterlich. Sie hatte gedacht, Slade zu lieben. Jetzt wußte sie, daß sie ihn zu wenig liebte. Ihr Herz sang, ja, aber es war ein Klagelied, und blind vor lauter Tränen sah sie nicht den Tanz des hohen Grases im Wind.

22. KAPITEL
    Ein strahlender Vollmond hing am pechschwarzen Nachthimmel. In Rye Crippens Augen ein Unglück, denn er war ein Mann mit einem zweifelhaften Beruf. Er stahl das Vieh lieber bei Neumond, oder wenn nur eine schwache Sichel am Firmament schimmerte. Aber er hatte heute abend im Silver Slipper kräftig getrunken und zur Abwechslung eine nette kleine Summe beim Keno gewonnen und saß jetzt auf seiner Schindmähre nahe an Rachel Wilders Rinderweide; er war berauscht vom Fusel und seinem vielversprechenden Glück am Spieltisch. Was sollte jetzt noch schiefgehen? Er verdrängte bewußt seine Angst vor dem schlechten Omen, dem unglückbringenden Vollmond.
    Der widerliche Anblick des armseligen Jonathan Beecham am Piano des Silver Slipper hatte Ryes verworrene Gedanken auf Rachel Wilder gelenkt, dieses schandmäulige, jähzornige Luder. Man brauchte sich ja nur Jonathan Beecham anzusehen, diesen weinerlichen Jammerlappen! Er war das beste Beispiel dafür, wie ihre scharfe Zunge und ihr rechthaberisches Getue einen Mann zugrunde richten konnte. Beecham hatte einmal eine halbwegs anständige Farm außerhalb der Stadt besessen. Jetzt konnte er dank Rachel Wilder nur noch versuchen, diesem zerbeulten Kasten ein paar Noten zu entlocken – und das für ein mageres Trinkgeld, ein paar Flaschen gewässerten Fusel und fünfzehn Minuten täglich auf dieser aufgedunsenen, angeschmierten Hure Emmalou. Eine Schande!
    Rye hatte ganz bestimmt nicht vor, so zu enden – obwohl das passieren konnte, wenn er weiterhin tagaus, tagein das Gekeife seiner sauertöpfischen Frau Prudence anhören mußte.

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