Wildes Blut
Gelegenheit hatte, ihn allein zu sprechen.
Aber endlich kam der Abend, an dem Seeks an der Schwelle des Blockhauses, wohin sie ihn begleitet hatte, stehenblieb und von dem sprach, was sie quälte. Seine Stimme vibrierte leise im feuchten Abendwind, und die Worte, die seinen Lippen entsprangen aus der Quelle seiner Weisheit und seiner Jahre, tropften wie kostbare Juwelen in der Stille der Sommernacht in ihren Schoß. Diese Worte sollte Rachel bis ans Ende ihres Lebens wie einen kostbaren Schatz hüten.
»Trotz deines Schweigens, Wildblumenfrau«, begann der Indianer bedächtig, »habe ich die ungesprochenen Worte gehört, die auf deiner Zunge liegen wie der schmelzende Schnee auf fernen Gipfeln, der sich danach sehnt, sich in einem plätschernden Fluß zu ergießen. Aber so wie der des Flusses ist der Pfad, dem du folgen mußt, steil und felsig, und deshalb hast du Angst und bist dir nicht sicher, welchem Weg du folgen sollst; du hast gezögert, mir zu sagen, was ich in deinen Augen und deinem Herzen sehe. Du würdest mir von deinen Hoffnungen und Ängsten erzählen. Das weiß ich. Aber, ich sage dir, zwischen uns bedarf es keiner Worte, Wildblumenfrau. Ich bin ein alter Mann und kenne die Welt. Ich habe gesehen, wie du Hundesoldat abends ansiehst, wenn du denkst, keiner sieht es, und ich habe dein Herz in deinen Augen gesehen. Und somit hast du schon gesprochen, und ich habe zugehört und nachgedacht. Jetzt werde ich sprechen, und du mußt schweigen, zuhören und lernen. Höre denn meinen Rat, wenn das dein Wunsch ist.« Seeks schwieg einen Augenblick lang, überlegte, was er sagen wollte und was nicht. Dann sprach er weiter.
»Obgleich du eine erwachsene Frau bist, Wildblumenfrau, warst du in dieser Angelegenheit ein selbstsüchtiges Kind, das nur an sich selbst denkt, an seine Tränen, seinen eigenen Schmerz. Und so frage ich dich: Was ist mit den Tränen des Hundesoldaten, Wildblumenfrau? Was mit seinem Schmerz? Glaubst du, es ist für einen Mann leicht, in seinem Herzen zu suchen, ohne zu wissen, was er finden wird? Ich sage dir, es ist nicht leicht. Aber wie ein dickköpfiges Kind hast du dich geweigert, das zu sehen, Wildblumenfrau. Du hast gedacht, es genügt, wenn eine Frau, die einen Mann liebt, ihr Herz in den Augen trägt. Aber ich sage dir in dieser Nacht, daß es nicht genügt. Denn eine Frau, die einen Mann wirklich liebt, wird ihre Augen auch in ihrem Herzen haben.
Öffne deine jetzt und sehe. Jedes Ding hat seine Zeit und seinen eigenen Weg, und so wie der Wind über das Land kommt, kommt die Liebe in unsere Herzen – wann immer und wie immer sie will, wie jeder Mensch für sich lernen muß. Würdest du versuchen, den wilden Wind einzufangen? Nein, das würdest du nicht, denn er ist eine Macht, die nicht eingefangen werden darf, denn sonst wäre sie für immer verloren. Du darfst nicht mehr versuchen, die Liebe ins Geschirr zu spannen, Wildblumenfrau, denn auch sie ist ein Geist, der sich frei bewegen muß – sonst stirbt er. Und noch eins: Ich glaube, in deinem Herzen weißt du es, die du eins bist mit den Elementen und mit dem Land.
Also sage ich dir: Hör auf die Stimme deines Herzens, Wildblumenfrau. Sei geduldig, so wie alle Weiden geduldig sind, und weine, wenn du mußt – denn ein Becher Tränen aus Liebe vergossen ist süßer als der süßeste Wein – und wisse, daß für diejenigen, die warten, am Ende sich alles erfüllt und um so stärker ist, weil es die Prüfung überstanden hat. Denn die Wahrheit ist allmächtig, und so wie das hohe Gras nur tanzt, wenn der wilde Wind es berührt, so singt das Herz nur, wenn die Liebe es berührt. Jeder, der auf sein eigenes Herz hört, wird das im Lauf der Zeit erfahren.«
Nach diesen Worten verstummte Seeks und verschwand in seinem Tipi. Rachel war so tief in Gedanken versunken, daß sie kaum merkte, wie sie sich nach seinem Gehen auf der Schwelle niederließ, wo sie lange sitzen blieb und über den weisen Rat des Indianers nachdachte. Sie war, wie sie betroffen erkennen mußte, tatsächlich selbstsüchtig und dickköpfig wie ein gedankenloses Kind gewesen. O ja, das war sie! Jetzt sah sie es klar und deutlich und bedauerte es unendlich.
Sie war immer so geborgen gewesen in der Liebe derer, die um sie waren – Fremont, Poke, Seeks, und bevor sie starben, ihre Eltern und India –, daß sie erwartete, daß auch Slade sie liebte, nur weil auch sie ihn liebte und noch schlimmer, obwohl sie ihm nie ihre Liebe gestanden hatte. In ihrer
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