Wildes Blut
Betrunkener schwankend in Delano eingeritten, mit scheppernden Dosen am Schweif des Pferdes. Aus allen Saloons und Spielhöllen waren sie zusammengelaufen, um ihn zu sehen, und da war Rye gewesen, zum Gespött gemacht von Slade Maverick und Rachel Wilder. Wenn die beiden schon Rye Crippen so etwas antaten, der nur versucht hatte, eines von Rachels armseligen Rindern zu stehlen – und das nur zum Spaß, wie Rye behauptete –, was würden sie dann erst Jonathan antun, den sie schon immer gehaßt hatten? Er wußte nur eins, damit wollte er nichts zu tun haben. Irgendwie mußte er einen Weg finden, um sich vor ihnen zu retten – bevor es zu spät war!
»Brüder und Schwestern! Brüder und Schwestern, trotz eurer wohltätigen Spenden«, schrie Prediger Proffitt, »fürchte ich, daß unter euch noch Sünder sind, und die flehe ich von ganzem Herzen an: Bereut! Bereut! Bereut jetzt, sage ich und werdet gerettet – bevor es zu spät ist! Hat der alte Dämon Whisky auch euch in seinen Klauen?« fragte er und nahm heimlich einen tiefen Zug aus seinem Flachmann. »Wendet euch vom Teufel ab, sage ich! Pflegt keinen Umgang mit seinen Handlangern, diesen bemalten Huren Babylons! Denn wenn ihr das tut, werdet ihr sicherlich verdammt sein und werdet in der Hölle brennen, brennen, brennen, bis in alle Ewigkeit, von den Flammen verzehrt werden …«
Wie das Schicksal es wollte, ging genau in diesem Moment eine Rakete los, die einer der Festgäste draußen angezündet hatte, sie pfiff wie ein Artilleriegeschoß durch die Luft und explodierte direkt über dem Zelt. Die Rakete zerbarst in ihre Einzelteile, die ihrerseits anfingen zu brennen, dann auf das Dach des Pavillons regneten und es in Brand setzten. Zuerst erstarrten alle im Zelt wie vom Donner gerührt, weil keiner wußte, was geschehen war, und alle von dem fürchterlichen Knall taub waren. Aber als die Flammen begannen, sich durch die gestreifte Leinwand zu fressen, zeigte jemand nach oben und schrie: »Herr, rette uns! Das Feuer Satans! Gottes Gericht ist über uns!«
Panik breitete sich aus, und schreiend und um sich schlagend, versuchten die Leute, sich zu den Ausgängen durchzuboxen. Da die Zelttüren jetzt von Menschenmassen blockiert waren, stürmten einige auf die Plattform, wo Prediger Proffitt, seine Frau und seine zwei Töchter mit aschfahlen Gesichtern und starr vor Angst standen, als fürchteten sie tatsächlich, der Zorn Gottes hätte sie getroffen. Mehrere ließen sich zu Boden fallen und krochen unter den Zeltwänden durch nach draußen, so daß das ganze Zelt gefährlich ins Schwanken geriet und einzustürzen drohte. Andere fielen schreiend auf die Knie und beteten, als könne das Feuer ihnen nichts anhaben und ihre Gebete sie retten. Funkenschauer regneten vom Dach herunter, lichterloh brennende Leinwandstreifen rollten sich auf, schwebten nach unten und entzündeten das trockene Sommergras. Beißender Rauch erfüllte die Luft, der alle blendete und ihnen den Atem raubte.
Slade riß sofort ein Taschentuch aus der Tasche und hielt es Rachel vors Gesicht. Dann packte sein starker Arm sie an der Schulter, drückte sie an sich und schob sie grob durch die panische Menge. Er bahnte sich gewaltsam einen Weg durch die Menge, während er ihr zuschrie, den Kopf gebeugt zu halten und keinen Rauch einzuatmen. In seiner Angst um sie kämpfte er sich wie ein wildes Tier durch die Menge, brüllte den anderen zu, ruhig zu bleiben und hätte einer alten Frau fast den Arm ausgekugelt, als er sie hochriß, damit sie nicht niedergetrampelt wurde. Dann riß der Strom der kopflos Fliehenden die Frau mit sich, und er konnte nur hoffen, daß sie heil hinauskam.
Rachel hatte noch nie in ihrem Leben solche Angst gehabt, aber sie geriet nicht wie die übrigen in Panik, denn tief in ihrem Innersten vertraute sie darauf, daß Slade sie da herausholen würde, falls es überhaupt ein Mensch schaffte; er würde sie nicht in diesem Inferno zurücklassen. Daran glaubte sie von ganzem Herzen, und das betete sie sich vor wie eine Litanei, während sie weiterstolperte, hustend und würgend vom beißenden Rauch.
Sekunden später taumelte ein Mann gegen Rachel und hätte sie fast umgeworfen, und als Slade sie auffing, schaute sie hoch und erkannte benommen, daß der Mann, der gegen sie gefallen war, kein anderer war als Jonathan Beecham, dessen glasige Augen seltsam fiebrig leuchteten. Bevor sie ihn aufhalten konnte, stürmte er auf die Plattform und die Flammen zu und schrie: »Ich
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