Wildes Blut
bereue, ich bereue! Rettet mich! Rettet mich!« Sie warf noch einen Blick über die Schulter und sah ihn ein letztes Mal, er kniete auf dem Podium, stöhnte und klammerte sich verzweifelt an Schwester Tansy Mae, sein Gesicht zwischen ihren hängenden Brüsten begraben, während sie verzweifelt versuchte, sich loszureißen und aus dem brennenden Zelt zu fliehen.
Ein paar Augenblicke später entdeckte Rachel Gus, der Livie durch die aufgelöste Menge zerrte. Sie schrie und schluchzte hysterisch: »Gustave, du Ochse, bring mich hier raus! Schnell! Schnell! Bring mich hier raus! Beeil dich, Gustave!« Schließlich hievte er sie über eine Schulter und pflügte sich brutal zum Ausgang durch, wobei er eine Wand und mehrere Halteseile mit sich riß. Der Wind, der vom Fluß her brauste, bauschte in Sekundenschnelle mit riesigem Getöse das Zelt auf, hob es wie einen riesigen Papierdrachen hoch, so daß auch die letzten angesengten Halterungsseile rissen. Die Leinwand flatterte, spuckte Feuer und Rauch in den Nachthimmel, an dem die Feuerwerkskörper wie Bomben rund herum explodierten. Dann segelte das riesige Zelt langsam wieder nach unten. Eine riesige Menschenmenge stürmte gerade noch rechtzeitig heraus, ehe das ganze Zelt in sich zusammenstürzte und alles unter lodernder Leinwand begrub.
Slade konnte Rachel in allerletzter Minute herauszerren. Doch bevor er einen Seufzer der Erleichterung ausstoßen konnte, sah er zu seinem Entsetzen, daß der Saum ihres Kleides brannte und die Flammen ihren Rücken hochzüngelten. Rachel wußte gar nicht, daß sie brannte, bis Slade sich wie ein Verrückter auf sie stürzte, sie zu Boden warf, daß ihr die Luft wegblieb und sie hin- und herrollte und auf ihre Röcke einschlug, bis auch das letzte Flämmlein erstickt war. Dann riß er sie an sich und murmelte: »Oh, mein Schatz, mein Schatz!« und drückte sie so fest an sich, als wolle er sie nie mehr loslassen. Sie zitterte in seinen Armen, der Schock und die Erkenntnis, daß ihr Kleid tatsächlich gebrannt und daß Slade ihr das Leben gerettet hatte, war zuviel für sie.
Das Zelt brannte jetzt lichterloh, und die Schmerzensschreie der darin Gefangenen gellten in den Ohren derer, die sich hatten retten können, und die jetzt stumm in einigen Metern Entfernung das Inferno beobachteten, das auch ihr Grab hätte sein können. Rachel fragte sich entsetzt, ob Jonathan Beecham einer von denen war, deren Schreie jetzt langsam in Gestöhne übergingen, bis es schließlich ganz verstummte. Sie wußte es nicht.
Das Unglück war so schnell passiert, daß manche glaubten, es wäre ein Teil des Feuerwerks gewesen. Aber allmählich begriffen die Leute, und aus allen Richtungen liefen Frauen, Männer und Kinder mit Wassereimern herbei, die sie im Fluß gefüllt hatten. Wichita hatte nur eine kleine freiwillige Feuerwehr, also erwarteten die Stadtbewohner keine Hilfe, sondern bildeten rasch eine Eimerkette vom großen Fluß zum Zelt, um die Flammen zu löschen, ehe sie sich ausbreiten konnten. Jeder in der Stadt kannte und fürchtete Präriefeuer, die eine der schrecklichsten Gefahren der großen Ebene darstellten. Rachel und Slade halfen mit den anderen, die Flammen zu löschen, und nach kurzer Zeit blieben nur noch ein durchnäßter Haufen verkohlter Leinwand und einige rußschwarze Leichen übrig.
Eine Reihe von Zeitungsleuten und Gesetzeshütern trafen am Schauplatz ein, die meisten von ihnen hatten schon viele solcher Katastrophen gesehen und waren gewappnet gegen das Entsetzen, das alle anderen gepackt hatte; Zeitungsleute und Gesetzeshüter stellten den versammelten Schaulustigen Fragen. Was hatte die furchtbare Tragödie ausgelöst? Hatte irgendein Bösewicht das Zelt angezündet? Die sensationshungrigen Reporter drängten sich eifrig unter die Leute, versuchten wie Bluthunde, eine Geschichte aufzuspüren. Ein hartnäckiger Reporter hatte Rachels versengtes Kleid entdeckt und wollte sie trotz ihres tränenreichen Protests schamlos fotografieren. Slade wurde so wütend, daß er den Mann schließlich am Kragen packte und mit einem Tritt in den Hintern verjagte und ihm sicherheitshalber auch noch die Kamera zertrümmerte. Die Gesetzeshüter waren etwas freundlicher, aber mindestens genauso darauf versessen, Antworten auf ihre Fragen zu bekommen. Wer war im Zelt gewesen, als es Feuer gefangen hatte und, noch schlimmer, wer wurde vermißt, wollten die Beamten wissen. Und so gelang es schließlich, die ganze Geschichte zu rekonstruieren und
Weitere Kostenlose Bücher