Wildes Blut
die Leichen zu identifizieren. Prediger Proffitt und seine ganze Familie waren unter den Opfern, ebenso Jonathan Beecham.
Diese letzte Entdeckung war der Abschluß des grausamen Feiertags. Schweigend, von Kopf bis Fuß mit Ruß verschmiert, gingen Rachel und Slade zu ihren beiden Wagen und dem der Keifes zurück und fragten sich, wie sie den Beecham-Kindern schonend beibringen sollten, daß ihr Vater tot war.
Am nächsten Tag gaben die Zeitungen der ganzen Stadt Extraausgaben mit riesigen schwarzen Schlagzeilen heraus, die die schreckliche Katastrophe auf so banale Sprüche reduzierten wie: HÖLLENFEUER VERSCHMORT PREDIGERZELT und SÜNDER VERBRENNEN BEI LEBENDIGEM LEIB IN TEUFLISCHEM INFERNO. Für fünf Cents das Stück war jede Zeitung in Wichita ausverkauft, ehe der Morgen richtig begonnen hatte. Die Beamten der Stadt übergaben die verkohlten Leichen den Familien der Toten, und schließlich wandte die Stadt sich wieder anderen Dingen zu. Der Übeltäter, der die Rakete, die das schreckliche Feuer ausgelöst und so viele Menschen getötet hatte, wurde nie gefunden.
24. KAPITEL
Wegen der sommerlichen Hitze wurde Jonathans Leiche gleich am nächsten Tag beigesetzt. Sie bestatteten ihn neben India, deren Grab nicht weit von dem von Rachels Eltern lag. Rachel beobachtete, ohne eine Träne zu vergießen, wie Slade, Fremont, Poke, Seeks und Gus das Loch zuschaufelten, in dem Jonathan jetzt für alle Zeit seine Ruhe gefunden hatte. Mit traurigem Herzen dachte sie daran, daß auf diesem Stück Land zwischen ihrem und Jonathans Anwesen eines Tages auch Fremont und Poke liegen würden und Seeks, wenn es sein Wunsch war, und sie selbst, obwohl sie daran gar nicht denken wollte – sie wollte überhaupt nicht an den Tod denken, an diesem heißen Sommertag, unter der strahlenden Sonne, in der leichten Brise, die sich regte, während die Bienen durch die Blumen der Prärie summten. Aber es war trotz allem ein friedlicher Ort, ein guter Platz, um begraben zu werden. Da war die weite Ebene, ein kleiner Hügel, ein einsamer Baum, den sie gepflanzt hatte, als ihre Eltern starben, und der unaufhörliche Wind. Mehr war hier nicht, denn Slade hatte sein Blockhaus in einiger Entfernung gebaut und hatte Indias altes Haus und die Scheune abgerissen, die in Sichtweite der Gräber waren.
Armer Jonathan, dachte Rachel, als die Beerdigung endlich dem Ende zuging. Sein Leben war eine so sinnlose Verschwendung gewesen, ein so unnötiges Chaos. Er war erst sechsunddreißig gewesen. Das Heartland war ein hartes Land. Das Leben hier war hart. Und nur die Starken überlebten.
Sie warf einen kurzen Blick auf die Kinder, die, wie sie erwartet hatte, weinten. Jonathan war trotz allem ihr Vater gewesen, und sein Tod hatte sicher Erinnerungen an ihre Mutter wachgerufen, die sie so sehr geliebt hatten. Rachel machte sich langsam daran, sie zum Haus zurückzubringen, während Slade dem Pfarrer dankte, ihm die Hand schüttelte und bezahlte. Rachel mußte daran denken, wie sie das bei Indias Beerdigung hatte machen müssen, da Jonathan zu betrunken gewesen war.
Eine ganze Reihe ihrer früheren Bürden hatten sich stillschweigend auf die starken, breiten Schultern Slade Mavericks verlagert. Aber erst seit gestern und heute war ihr klar, wie sehr sie sich inzwischen auf ihn verließ. Slade hatte gestern nacht Jonathans Leiche identifiziert, heute früh den Sarg für ihn ausgesucht und die Beerdigung organisiert. Slade hatte auch Adam losgeschickt, um die Nachbarn zu verständigen, damit die Kinder nicht verletzt oder beschämt waren, wenn keiner zur Beerdigung ihres Vaters kam. Es war Slade, der dafür sorgte, daß die Kinder anständig angezogen waren und rechtzeitig am Grab erschienen. Er hatte auch die Trauergäste begrüßt und ihre Beileidsbezeugungen im Namen der Familie entgegengenommen.
Rachel mußte nur das Essen kochen, das nach der Beerdigung gereicht wurde. Trotz der acht Kinder war das Blockhaus peinlich sauber. Rachel hatte nicht einmal aufräumen müssen, ganz anders als bei Indias Beerdigung, als sie das dunkle feuchte Loch erst einmal menschenwürdig hatte herrichten müssen. Wenn doch India nur schon früher Slade von ihrer schrecklichen Ehe und ihrem furchtbaren Leben geschrieben hätte, dann wäre sie vielleicht noch am Leben gewesen.
Ich werde jetzt nicht darüber nachdenken, sagte sich Rachel streng. Ich werde nie wieder daran denken. Sie ist tot, und ich kann sie nicht wieder lebendig machen, und ihr Leben war so, wie es war.
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