Wildes Blut
Handvoll Trauernden, die sich auf der Prärie versammelt hatten, um India Beecham die letzte Ehre zu erweisen. Zitternd drängten sie sich um den Rand ihrer letzten Ruhestätte und wünschten sich, sie möglichst schnell unter die Erde zu bringen, damit sie wieder in ihre warmen Stuben zurückkehren konnten.
Es war so kalt, daß die langen Wollschals der Trauergemeinde an ihren Mündern festgefroren waren, so daß sie kaum atmen konnten, und die Hände der Sargträger waren wie Eisklumpen in ihren Handschuhen, als sie Indias schlichten Holzsarg in das flache Grab hinunterließen, das sie heute morgen mühsam der gefrorenen Erde entrungen hatten. Einen Augenblick lang schien es, als würde der Sarg ihren tauben Fingern entgleiten, aber dann war er endlich im Boden, und der Priester fuhr mit seiner Messe fort. Er mußte brüllen, um angesichts des laut heulenden Windes gehört zu werden.
Die heftigen Böen peitschten gnadenlos auf die Trauernden ein, fetzten die Haut von den Gesichtern und schlängelten sich unter die Röcke der Frauen, so daß ihre Unterröcke und Strümpfe in unziemlicher Weise sichtbar wurden. Aber keiner der Männer bemerkte es, sie waren zu beschäftigt damit, sich vor den feindlichen Elementen zu schützen.
»In die Hände des allmächtigen Gottes übergeben wir die Seele unserer verstorbenen Schwester und ihren Leib der Erde; Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub«, brüllte der heisere Priester.
Jetzt konnten die Sargträger endlich nach den Schaufeln greifen und den Erdhaufen neben dem Grab über den Sarg schaufeln.
Das Geräusch dicker Lederstiefel auf Stahlspaten, die sich in den widerspenstigen Erdhaufen bohrten, und die gefrorene Erde, die klappernd auf Indias Sarg fiel, dröhnte wie Glockenläuten in Rachel Wilders Ohren, so daß sie unwillkürlich zurückwich. So endet also das Leben, dachte sie traurig. Irgendwie war es einfach nicht recht. Die arme India hatte etwas Besseres verdient.
Die dicken Brocken prasselten unerbittlich auf den bescheidenen Sarg, den aufgrund der Jahreszeit keine einzige Blume schmückte, und Rachel konnte ihre Tränen nicht mehr länger zurückhalten. Sie schossen aus ihren Augen und gefroren auf ihren Wangen, und sie hatte einen so dicken Kloß im Hals, daß sie glaubte, ersticken zu müssen. Sie schluckte den Kloß mit Gewalt hinunter und zitterte dabei vor Trauer und Wut, so daß ihr Großvater Fremont Haggerty, der neben ihr stand, schützend einen Arm um sie legte und versuchte, sie mit ziemlich ungeschicktem Schulterklopfen zu trösten.
Aber seine Enkelin weigerte sich, sich trösten zu lassen, und Fremont seufzte und schüttelte besorgt den Kopf, als er sah, wie sie stur ihr Kinn vorschob und die verweinten Augen zusammenkniff und sie anklagend auf Jonathan Beechams schwankende, schwarz gekleidete Gestalt richtete.
India Beecham war Rachels engste und praktisch einzige Freundin gewesen, und Fremont wußte, daß seine Enkelin Jonathan die Schuld an Indias Tod gab. Und die Schuld lag auch bei dem verdammten Kerl. Wenn er nicht beim Huren und Saufen in Delano, dem Rotlichtbezirk von Wichita, gewesen wäre, als seine Frau zu Hause ihr Kind zur Welt gebracht hatte, nur mit ihren Kindern – und Eve, der Ältesten, die knapp vierzehn war – als Hilfe, hätte India noch am Leben sein können. Aber so war sie tot, und ihr armseliger Mann hatte es gewagt, bei der Beerdigung nach Whisky stinkend und taumelnd aufzutauchen. Es war fast ein Wunder, daß der Mann nicht in das Grab seiner Frau stürzte oder Rachel ihn, getrieben von Wut und Ekel, hineinstieß!
Fremont warf einen Blick zu seiner Enkelin und war überzeugt, daß sie es gemacht hätte, wenn ihr nur der Gedanke gekommen wäre. Wenn Rachels Blicke töten könnten, würden die Totengräber Jonathan gleich neben India begraben. Fremont kannte diesen Gesichtsausdruck seiner Enkelin und wußte, was er bedeutete. Er bezweifelte nicht, daß Jonathan, noch ehe der Tag zu Ende war, Rachels böse Zunge zu spüren bekommen würde – und das geschah ihm recht. Fremont hatte ganz bestimmt nicht die Absicht, Beechams Haut zu retten. Ein Mann mußte Schnaps entweder vertragen oder aber nicht trinken, so einfach war das. Jonathans ständiges Gejammer über den Bürgerkrieg, der angeblich an all seinen Unzulänglichkeiten schuld war, vor allem was den Schnaps betraf, waren nichts als Humbug. Fremont hatte im mexikanischen Krieg ’46 gekämpft und sogar ein Bein verloren – aber er war kein Säufer.
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