Wildes Blut
verlotterten Einwohner schwiegen ebenso wie die kriminellen Desperados, die sich hier versteckt hielten.
Normalerweise tobte das Leben in Dry Gulch – die Fröhlichkeit, die dabei herrschte, war aus billigem Schnaps und billigen Weibern geboren und wurde begleitet von häufigen Schüssen, die von betrunkenen Krakeelern abgegeben wurden. Aber jetzt war die Hauptstraße menschenleer, obwohl noch zwei Stunden winterlich graues Tageslicht blieben, und die schiefen Läden der schäbigen Gebäude links und rechts davon waren geschlossen, um die beißende Kälte des tobenden Windes abzuhalten. Schneewehen peitschten über die verlassene Staubstraße. Ein einsames Tumbleweed wurde zwischen den Anleinpfosten hin und her gestoßen, bis ein kräftiger Windstoß es auf den brüchigen Gehsteig hob. Es rollte über die kalten, starren Planken und blieb vor zwei schmalen, geschlossenen Türen liegen, aus deren langen, schmutzigen, eisverkrusteten Fenstern das einzige Licht der ganzen Straße schien. Hinter den Türen, im scharfen Kontrast zu der Stille, die die restliche Stadt einhüllte, klimperte ein verstimmtes Piano, und rauhes Lachen tönte nach draußen, wo es vom Wind erfaßt und weggetragen wurde.
Selbst ein Blue Norther konnte das Red Garter nicht dazu bringen zu schließen.
Im Saloon stand ein wild gemischter Haufen Männer an der Bar, andere saßen auf knarzenden Stühlen an den messervernarbten Tischen. Huren flirteten und kicherten und versuchten, die Kunden dazu zu bewegen, ihnen Drinks zu spendieren. Ein paar der Mädchen stolperten mit ihren betrunkenen Kunden im Schlepptau die baufällige Treppe hoch, die zu einem schäbigen, schummrigen Gang mit schlecht möblierten Zimmern führte.
In einer Ecke des Saloons hämmerte der Pianist auf die Tasten, ohne Rücksicht auf die falschen Töne, die das schwer mitgenommene alte Instrument von sich gab. Auch die Männer am nahegelegenen Kartentisch ignorierten die Kakaphonie. Slade Maverick war der einzige, der innerlich zusammenzuckte, als der Spieler auch noch ein paar Noten des Liedes, das er spielen wollte, völlig vergaß. Äußerlich ließ Slade Maverick sich nichts anmerken, er schien total auf das Pokerspiel konzentriert, das früh am Morgen begonnen hatte und im Lauf des Tages immer verbissener geworden war. Jetzt herrschte so dicke, unheilschwangere Luft, daß Slade das Gefühl hatte, er könne sie mit seinem Bowiemesser in Stücke schneiden.
Er war auch nicht der einzige, der sich im stillen auf kräftigen Ärger vorbereitete. Die meisten Besucher des Saloons hatten sich schon vor einiger Zeit vorsichtshalber in sicheren Abstand zu der Ecke mit dem Kartentisch begeben. Nur eine der ortsansässigen Nutten, Lolly, war geblieben – aber weder aus Pflichtbewußtsein, noch weil sie mutig oder unvernünftig gewesen wäre. Keine zehn Pferde hätten sie von Slade Maverick wegzerren können.
Das weiche Lampenlicht des Red Garter war gnädig zu Lollys hartem Gesicht, sie schien jünger, als sie in Wirklichkeit war, und sie war auch sauberer als die restlichen Huren, die man für fünf Dollar an jeder der vielen Bars der Stadt kaufen konnte. Lolly war einst aus gutem Stall gewesen, bevor ein schlechter Mann sie benutzt und mißbraucht, sie in die Gosse gezogen und dann verlassen hatte. Ein paar Reste ihrer anständigen Erziehung waren übriggeblieben.
Ihr brünettes Haar war zu einer kunstvollen Lockenfrisur aufgetürmt, und sie hatte sich eine rote Straußenfeder hinters linke Ohr gesteckt. Ihr Make-up war nicht so aufdringlich wie das der anderen, trotz des kleinen Schönheitsfleckes auf einer Wange und ihrer üppigen Brüste. Straß glitzerte an ihren Ohren, ihrem Hals und ihren Handgelenken und ließ ihr aufdringlich rotes Satinkleid eleganter erscheinen, als es in Wirklichkeit war. Kurzum, Lolly war zwar eine Hure, aber doch um einiges besser als der Abschaum, der sich sonst in Dry Gulch herumtrieb. Ohne Zweifel fand sie deshalb auch Slade Maverick besonders anziehend, denn auch er war um einiges besser als das meiste Gesindel dieser Stadt.
Jetzt stand sie, den Fuß auf ihren Stuhl gestützt, mit hochgeschobenem Rock, damit ihr wohlgeformtes Bein und der Schenkel mit dem roten Strumpfband zur Geltung kamen, das Kinn auf die Hand gestützt, und beobachtete, wie die Männer am Kartentisch die frisch ausgeteilten Karten musterten und dann entsprechende Einsätze nannten. Immer wieder wanderte Lollys Blick zu Slades großer, dunkler Gestalt, und gelegentlich
Weitere Kostenlose Bücher