Wildes Blut
Rachel keine Pläne schmiedete, sich beim Frühstück an ihm zu rächen.
Rachel war leise ins Haus geschlichen, in der Hoffnung, nicht bemerkt zu werden. Aber so leicht konnte sie ihren Großvater nicht täuschen. Er warf ihr einen prüfenden Blick zu, und seine scharfen alten Augen registrierten nachdenklich ihre hochroten Wangen und die Strähnen, die sich aus dem Knoten gelöst hatten. Natürlich konnte auch der Nachtwind daran schuld sein, aber irgendwie glaubte er das nicht. Sein durchdringender Blick richtete sich jetzt auf Slade Maverick, der kurz nach Rachel ins Haus gekommen war. Slades Gesicht war eine Maske- gefühllos, undurchschaubar. Nur seine dunkelblauen Augen funkelten erregt – aber nicht wie die eines Mannes, der gerade seine Leidenschaft befriedigt hatte. Fremont war überzeugt, daß nichts außer einem mondbeschienenen Kuß passiert war, also lehnte er sich erleichtert im Stuhl zurück und paffte genüßlich und innerlich höchst zufrieden an seiner Pfeife.
Rachel konnte weiß Gott ein paar Küsse gebrauchen, fand er- sie war auf dem besten Weg, eine alte Jungfer zu werden-, und irgendwie hatte er das Gefühl, daß Gus in der Hinsicht ziemlich wenig zu bieten hatte. Aber Slade … das war schon ein anderes Kaliber. Fremont hatte den leisen Verdacht, daß der Bursche kein Kostverächter war und er wohl recht häufig die Milch bekam, ohne gleich die ganze Kuh zu kaufen – und genau das wollte Fremont nicht. In den vergangenen Tagen hatte er reichlich Gelegenheit gehabt, Slade Maverick aus nächster Nähe zu beobachten und dabei hatte er beschlossen, daß er, Revolvermann hin oder her, genau der richtige Ehemann für Rachel war.
Er scheute weder ihre scharfe Zunge, noch ließ er sich von ihrem Zorn einschüchtern – allein das hätte ihn nach Fremonts Meinung schon für den Posten qualifiziert – er war auch noch intelligent und gebildet (dank seiner Herkunft hatte er genausoviel Schulbildung, wenn nicht gar mehr als Rachel) und besaß außerdem Humor. Dazu war er stark und mitfühlend. Er scheute weder harte Arbeit noch einen Kampf, rauchte, trank und spielte nicht mehr als ihm guttat, und wenn er gerne hurte, hatte er bis jetzt keine Ansätze dazu gezeigt. Daraus schloß Fremont, daß er sich die Hörner schon abgestoßen hatte, und das nicht zu knapp, und jetzt nicht ständig Frauen brauchte, um sein Ego zu befriedigen. Seine Abscheu vor Jonathans endlosen Sauftouren und die Art und Weise, wie er India vor ihrem Tod behandelt hatte, war unverkennbar, was Fremont zu der Überzeugung brachte, daß Slade Maverick, sofern er sich entschloß zu heiraten und eine Familie zu gründen, der Frau, der er sein Ja-Wort gab, auf ewig treu sein würde. Er war ein Einzelgänger und deshalb schwer einzufangen. Aber Rachel war seiner Meinung nach der Aufgabe gewachsen. Wenn seine sich Enkelin den Revolvermann durch die Lappen gehen ließ, war sie mit Sicherheit die dümmste Frau der Welt – und in dem Fall würde es ihr ganz recht geschehen, wenn sie als alte Jungfrau endete.
Er schaute hinüber zum Schaukelstuhl, wo sie saß und leise vor sich hinsummend das Baby wiegte. Eigentlich sollte das ihr Kind sein, das sie da wiegte, und nicht Indias, obwohl er nichts dagegen hatte, daß sie die Kinder aufgenommen hatte. Trotzdem war das Blockhaus jetzt schrecklich überfüllt. Bei dem Gedanken seufzte Fremont, ihm fehlten die Ruhe und der Frieden, die vorher hier geherrscht hatten. Jetzt war da ständig Gelächter, Gerede und Lärm, und man hatte kaum Platz zum Gehen, wenn die Kinder so wie jetzt für die Nacht ihre Decken auf dem Boden ausgebreitet hatten. Fremont merkte, daß noch keins der Kinder schlief. Sie warteten sicher auf Slades Mundharmonikaspiel, aber der war noch in ein spannendes Damespiel mit Poke vertieft.
»Aha, erwischt!« schrie der Neger triumphierend und lenkte Fremonts Aufmerksamkeit auf das Brett. »Paß bloß auf. Jetzt hab’ ich dich gleich, Slade!«
»Ja, das glaubst du, Poke. Du spielst aber nicht gegen Old Ox, weißt du noch?«
»Hmmf«, schnaubte der alte Neger unbeeindruckt. »Old Ox ist nicht so dumm, wie du glaubst, und auf jeden Fall müßt ihr beide ganz schön früh aufstehen, um mich aufs Kreuz zu legen!«
Bevor Slade Poke seine Meinung sagen konnte, fragte die kleine Naomi plötzlich aus heiterem Himmel, wie Kinder das manchmal tun, ganz neugierig: »Tante Rachel, wirst du Old Ox heiraten?«
»Du wirst ihn gefälligst nicht Old Ox nennen, Naomi«, tadelte Rachel,
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