Wildes Erwachen
jetzt versagte ihr die Stimme und sie konnte nur noch heulen. Die kleine Frau nahm das große Mädchen in ihre Arme und streichelte ihr sanft über die Haare: »Is’ schon gut, meine Kleine, ich wünsche dir alles Gute. Ich hoffe, wir sehen uns mal wieder!«
»Danke, Oma«, stammelte Renata, »ich danke dir für alles!«
16
Sonntag, 8. März 1998
Eigentlich hatte Kral mit seiner Frau und den beiden Kindern, die sich fürs Wochenende zu einem Besuch angemeldet hatten, »ins Essen gehen« wollen, wie man in Selb den sonntäglichen Gasthausbesuch bezeichnete. Jetzt saß er in Brückners Büro und schlürfte den starken tschechischen Kaffee, von dem er eigentlich die Finger lassen sollte, denn der beförderte seinen Blutdruck in ungesunde Höhen. Brückner hatte bei seinem Anruf angedeutet, dass man mit großer Wahrscheinlichkeit kurz vor einem entscheidenden Durchbruch stehe. »Und da möchte ich dich und Karl doch gerne dabei haben«, hatte er betont. Mit im Raum also Schuster und außerdem Frau Kučerová.
»Zur Lage«, begann Brückner mit seinem Bericht, »die Straková ist bereit, auszusagen. Und jetzt ganz wichtig: Sie hat mit dem Chef der Bande, das ist ein gewisser Michail Wolski, bereits Kontakt aufgenommen, und die beiden werden sich wahrscheinlich heute noch treffen. Und wenn das klappt, machen wir den Zugriff. Die Vorbereitungen laufen schon.«
»Wo?«, wollte Schuster wissen.
Der Major zuckte mit den Achseln: »Keine Ahnung! Der Bursche traut der Straková nicht. Er will das Treffen kurzfristig festlegen. So kann er dann bequem beobachten, ob es irgendwelche auffälligen Bewegungen gibt.«
»Schlaues Kerlchen!«, kommentierte Schuster, »wird nicht einfach für euch, denn ihr müsst praktisch vor ihm dort sein. Außerdem sehe ich noch ein anderes Problem: Habt ihr daran gedacht, dass er gar nicht selbst auftauchen könnte, sondern nur einen Killer schickt, der die Frau einfach abknallt?«
Brückner schnaubte verächtlich, mäßigte sich aber: »Mir senn fei niat aaf der Brennsupp’n dahergschwumma. Die Dame wird mit einer schusssicheren Weste ausgerüstet und außerdem hat sie dem Kerl damit gedroht, dass im Falle ihres Ablebens das gesamte belastende Material der Polizei übergeben wird.«
»War ja nur eine Frage!«, verteidigte sich Schuster etwas pikiert, bemühte sich dann aber sofort um Sachlichkeit: »Wann soll das Treffen vereinbart werden?«
»Gegen zwei«, antwortete Frau Kučerová, »ich höre mir das dann an, Frau Straková hält sich zur Zeit im Verhörraum 1 auf.«
Kral wandte sich an Brückner: »Noch gut eine Stunde! Du könntest uns doch in der Zwischenzeit mal erzählen, wie ihr die Dame eingefangen habt!«
Nachdem der Major einen ausführlichen Bericht über den Leidensweg der reuigen Sünderin geliefert hatte, lehnte er sich grinsend zurück: »Und dann war da noch eine kleine schauspielerische Einlage von Aneta und mir nötig, um sie unbemerkt aus dem Laden rauszuholen.«
»Mach’s nicht so spannend!«, drängte Kral auf die Fortsetzung.
Brückner blickte auf Aneta Kučerová: »Das kannst du besser, Aneta, die Idee kam von dir!«
Lachend begann die Polizistin: »Wir haben uns nur ein bisschen verändert, also rein äußerlich, dann wurde ich«, sie deutete auf ihren Kollegen, »seine Geliebte und wir haben einen Antiquitätenhandel aufgemacht. Ach, fast hätte ich’s vergessen, wir mussten zunächst noch deutsche Staatsbürger werden. Dann wollte es der Zufall, dass auf dem Hof noch ein sichergestellter deutscher Kombi stand. Und ab ging die Post nach Doubrava, wo wir uns in dem Gasthaus eingemietet haben. Schnell kam der geschäftliche Erfolg in Form einer alten Bauerntruhe, die Josef in Asch aufgetrieben hat. Wirklich keine leichte Sache, denn am nächsten Morgen mussten wir die Kiste nach unten zum Auto schaffen und so tun, als wäre sie so leicht wie beim Hochtragen, obwohl sie gut 60 Kilo schwerer war.«
Dass sich Schuster jetzt schier kaputtlachen wollte, hatte allerdings noch einen anderen Grund: »Wenn Wohlfahrt erfährt, dass da ein deutscher Pkw beteiligt war, wird er wohl vor der Presse darauf hinweisen, dass der Fahndungserfolg nur dank tatkräftiger logistischer Unterstützung der deutschen Seite möglich war.«
Für weiteres Gelächter sorgte Brückner: »Und dank tschechischer Maskenbildnerkunst«, ergänzte er, nachdem er sich unbemerkt von den anderen am Waschbecken eine blonde Lockenperücke übergezogen und einen buschigen Schnauzer
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