Wildhexe 1 - Die Feuerprobe
ich.
»Sag uns den Namen der Hexe, die du beschuldigst.«
»Chimära.« Es war zwar immer noch höchstens ein halb ersticktes Piepsen, aber wenigstens brachte ich den Namen heraus.
»Danke«, sagte Thuja mit einer gewissen Zufriedenheit, so als hätte sie schon lange auf diese Gelegenheit gewartet. »Dann können wir Chimära vor den Rat rufen! Aber jetzt kommt rein ins Warme, während wir warten, damit ihr die Nebel der Wilden Wege aus den Knochen bekommt.«
Sie ging zu einer der Türen, und die anderen folgten ihr. Ich zögerte.
»Was ist mit Stjerne?«, flüsterte ich Tante Isa zu.
»Stjerne ist auch willkommen«, antwortete Thuja, ohne sich umzudrehen. »Sie ist genauso weit gereist wie du.«
Tante Isa lächelte mir zu.
»Spring runter, damit wir ihr Sattel und Zaumzeug abnehmen können«, sagte sie. »Hier entscheidet Stjerne selbst, ob sie lieber draußen oder drinnen sein will.«
Und so kam es, dass Stjerne vergnügt hinter uns in das Kaminzimmer der Gästehöhle trottete. Im Kamin flackerte ein Feuer, und zehn zerschlissene Sessel standen in einem Halbkreis davor. In einer Ecke war der Boden mit einer dicken Schicht Sägespäne bedeckt. Dort stand auch ein großer Eimer mit Wasser, und ein volles Heunetz verströmte in dem dunklen Raum den Duft von Gras und Sommer.
»Hier sorgt man gleichermaßen gut für die menschlichen wie die tierischen Gäste«, sagte Frau Pomeranze und ließ sich mit einem dankbaren Seufzen in einen der Sessel sinken, während Stjerne ungefähr gleichzeitig die Vorderbeine abknickte, auf die Seite kippte und sich freudig in den Spänen wälzte.
Ich humpelte ans Feuer und setzte mich auch hin. Mein Knie war ganz steif und pochte ziemlich schmerzhaft, aber irgendetwas an diesem Raum, an diesem Ort, sorgte dafür, dass ich mich trotzdem wohlfühlte. Ein Teekessel blubberte über dem Kaminfeuer, und es bestand überhaupt kein Zweifel daran, dass irgendjemand diese seltsame Mischung aus Zimmer und Stall nur für uns hergerichtet hatte – sie hatten gewusst, dass wir kommen würden.
»Ich hoffe, ihr habt hier alles, was ihr braucht«, sagte Thuja. »Wenn nicht, sagt einfach Bescheid. Wir schicken einen Boten an Chimära los. Sie hat drei Tage Zeit, um sich zu melden, sonst müssen wir die Sache ohne sie prüfen.«
»Danke«, sagte Tante Isa.
»Denkt ihr, dass sie kommt?«, fragte ich und kam nicht umhin, mir zu wünschen, dass sie wegbleiben würde.
»Selbst für Chimära ist es eine ernste Angelegenheit, aus der Wilden Welt ausgestoßen zu werden«, sagte Tante Isa. »Sie kommt bestimmt.«
In meinen Ohren klang das eher wie eine Drohung als ein Versprechen.
Ich war so müde, dass ich fast nichts vom Abendessen hinunterbrachte. Die Betten in der Gästehöhle waren in kleinen Alkoven untergebracht, die sich mit schweren Samtvorhängen vom Kaminzimmer abschirmen ließen. Sobald wir gegessen hatten, nahm ich ein schnelles Bad und kroch dann in den Alkoven, den ich mir mit Kahla teilte. Kahla war offenbar genauso müde wie ich, denn sie hatte das Bad ausgelassen und lag schon schlafend unter einem Berg von Woll- und Daunendecken, der so hoch war, dass von ihr nichts als eine einzelne schwarze Locke zu sehen war. Ich rollte mich auf meiner Seite des Bettes zusammen und gähnte ein paarmal, während ich mit halbem Ohr den Stimmen lauschte, die vom Kamin zu uns herüberdrangen.
»… riskieren, dass sie sie freisprechen?«, sagte Meister Millaconda.
»Unmöglich!«, sagte Shanaia heftig. »Sie ist so schuldig, wie man nur sein kann!«
»Aber nicht dumm«, sagte Frau Pomeranze leise. »Vergiss nicht, wie sie es geschafft hat, dich aus Westmark zu vertreiben. Damals haben sie ihr geglaubt und nicht dir.«
»Aber jetzt werden sie ja sehen, dass sie sich geirrt haben!«
Für einen Moment blieb es still im Raum. Ich starrte an die Decke, die aus Baumwurzeln und Moos geflochten war, und spürte, wie mein ganzer Körper mit jedem Atemzug schwerer wurde. Langsam fielen mir die Augen zu.
»Wir haben das Halseisen«, sagte Shanaia dann. »Zählt das etwa nicht?«
»Nur wenn Clara aussagt«, sagte Meister Millaconda.
»Es hängt alles von der kleinen Clara ab«, sagte Frau Pomeranze. »Ich hoffe wirklich, sie schafft es.«
Das hoffe ich auch, dachte ich und sank in einen unruhigen Schlaf voller Albträume, in denen Chimära mich durch neblige Straßen und Kellergänge hetzte und sich jedes Mal wenn ich dachte, ich wäre ihr entkommen, wie ein Sperber auf mich
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