Wildhexe 1 - Die Feuerprobe
…«
18 DAS FEUER DES WASSERS
Die Raben folgten uns. Wie heisere Schatten im Mondlicht flatterten sie an uns vorbei, ließen sich auf einem Baum nieder und warteten, bis wir sie eingeholt hatten, um dann erneut aufzufliegen und weiterzuziehen. Sie wussten eindeutig, wohin wir mussten.
Wegen meines Knies hatte ich die Erlaubnis bekommen, auf Stjerne zu reiten, obwohl das bestimmt gegen die Regeln war. Alle anderen gingen zu Fuß, sogar Frau Pomeranze. Der Wald um uns herum war so dicht und finster, dass unsere Fackeln und Lampen dagegen wie kleine Feuerfliegen wirkten. Ich fröstelte ein wenig und glaubte plötzlich, im Dickicht hinter uns ein Rascheln zu hören. Vielleicht ein Fuchs oder etwas Größeres? Ob es hier Wölfe gab?
Aber dann fiel mir auf, dass ein oder zwei Wölfe geradezu lächerlich waren, verglichen mit dem, was mich gleich erwartete. Ich hörte auf, mich nach hinten umzusehen.
Der Medusensee lag in einer Talsenke, umgeben von schneebedeckten Felsen. Nur in der Nähe des Ufers lag kein Schnee mehr, und Dampf stieg sacht von dem dunklen Gewässer auf.
»Wie tief ist das Wasser?«, fragte ich Herrn Malkin, der neben Stjerne herlief. »Ich riskiere doch nicht zu ertrinken, oder?«
»Nein«, sagte er. »Nicht, wenn du dich auf den Beinen hältst. Ich denke, an der tiefsten Stelle wird das Wasser dir ungefähr bis zur Brust gehen.«
Natürlich war Chimära auch mitgekommen. Ihre Flügel warfen blaue Schatten auf den Schnee vor uns.
»Du weißt, dass das hier tödlich enden könnte, oder?«, sagte sie. »Man sagt, die Leute würden stundenlang schreien und versuchen, sich die Haut vom Leib zu reißen, bevor sie sterben. Warum gibst du nicht einfach zu, dass du gelogen hast? Dann bleiben dir diese Schmerzen erspart.«
Herr Malkin drehte sich um.
»Schweig, Chimära«, sagte er. »Im Gesetz steht nichts davon, dass es dir erlaubt wäre, einen Zeugen zu bedrohen oder einzuschüchtern.«
Aber es war zu spät. Die Worte waren gesagt, und ich konnte sie nicht mehr aus meinem Kopf bekommen.
Vorsichtig kletterte Stjerne auf den letzten, schneelosen Vorsprung hinunter und blieb stehen. Ich tätschelte ihr den Hals und bedankte mich für den Ritt, während ich inständig hoffte, dass ich nicht zum letzten Mal auf ihrem runden, warmen Rücken gesessen hatte.
Ich musste mich fast ganz ausziehen. Meine Finger zitterten so sehr, dass Tante Isa mir helfen musste, den Regenmantel aufzuknöpfen, und wieder hörte ich ein höhnisches Schnauben von Chimära.
»Das Mädchen ist ja starr vor Angst«, sagte sie. »Lasst uns diese lächerliche Vorstellung beenden, damit wir alle wieder nach Hause können.«
Niemand gab ihr Antwort. Aber Tante Isa küsste mich auf die Wange und flüsterte mir ins Ohr: »Vertrau der Natur – und dir selbst. Sie tun dir nichts.«
Thuja und die anderen Rabenmütter bildeten einen Kreis um den Felsensee und fingen an zu summen, wie sie es auch bei den Feuerfliegen getan hatten. Unten im Wasser begann etwas zu leuchten. Die Medusen. Jetzt konnte man sie sehen . Das hier waren keineswegs die geleeartigen Nordseequallen, die ich mir vorgestellt hatte. Sie ähnelten viel mehr großen, durchsichtigen Kirchenglocken, die unter Wasser trieben. Ihre Fangarme waren lang und ausgefranst und so dick wie die Arme eines Tintenfischs.
»Lasst die Prüfung beginnen«, sagte Thuja.
In die Felsen waren Stufen geschlagen. Die sollte ich jetzt nach unten gehen. Ich zitterte am ganzen Körper, als ich auf die erste Stufe trat. Ich konnte meine Beine kaum spüren. Sie tun dir nichts, flüsterte ich mir selbst zu, aber es fiel mir schwer, das zu glauben. Als das Wasser sich auf der dritten Stufe um meine Knöchel schloss, stockte ich. Es war warm. Nicht so warm wie Badewasser, aber durch die kalte Frostluft fühlte es sich beinahe so an.
Ich schaute hoch. Chimära stand nah am Ufer, dicht hinter zwei Rabenmüttern. Ich begegnete ihrem gelben Blick.
»Sie schreien stundenlang«, sagte sie – leise, aber doch laut genug, um sicher sein zu können, dass ich sie hören würde.
Ihre Worte hätten mir noch mehr Angst einjagen müssen. Aber das taten sie nicht. Ich glaube, ich war bis dahin so ängstlich gewesen, wie ein Mensch überhaupt nur sein kann, doch in diesem Moment wurde mir schlagartig klar, dass es ihr nur darum ging zu verhindern, dass ich das Wasser durchquerte. Deshalb drohte sie mir. Deshalb versuchte sie, mich so sehr zu erschrecken.
Sie weiß, dass ich es schaffe.
Der Gedanke kam
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