Wildhexe 1 - Die Feuerprobe
da, wo auch nur ein winziger Felsvorsprung oder die kleinste Vertiefung war … überall da saßen Feuerechsen und bliesen ihre leuchtenden Wolken in die Luft, als sängen sie im Chor. Ein Lied des Feuers, das in der Dunkelheit strahlte, golden, warm und rot.
Ich hielt »meine« Echse an mich gedrückt und hätte beinahe geweint, weil es so schön war. Genauso schön wie der Tanz der Feuerfliegen – oder vielleicht sogar noch schöner, weil ich es besser verstand. Die Echsen freuten sich über die Wärme. Sie freuten sich über mich. Sie sangen ihren Wildgesang vor Freude.
»Danke«, flüsterte ich und streichelte der ersten Echse vorsichtig mit dem Zeigefinger über den Nackenkamm. Sie drückte ihren Kopf nach oben, sodass meine Berührung ein bisschen fester wurde, und summte noch lauter als vorher. Mit der kleinen Echse im Arm ging ich los.
Es war nicht sehr weit. Vielleicht hundert Schritte, wenn es ein ebener Weg gewesen wäre, aber das war es nicht. Ich musste klettern, kriechen und mich durch die engsten Stellen winden. Überall ragten scharfe Felskanten aus dem Boden oder der Decke. Dazwischen waren tiefe Spalten, einige von ihnen so tief, dass ein zwölfjähriges Mädchen darin leicht verschwinden konnte. Ohne das Licht der Echsen hätte ich es niemals geschafft.
Der Ausgang der Grotte war etwas größer als der Eingang, ein verdecktes Loch in der Höhlendecke, sieben, acht Meter über mir. Eine Strickleiter baumelte herunter, ich sah Fackellicht und den Mondschein und konnte Stimmen hören, auch wenn ich nicht verstand, was sie sagten.
Ich setzte die Feuerechse auf einer kleinen Felskuppe ab und streichelte ihr ein letztes Mal über den Nackenkamm.
»Eines Tages komme ich zurück«, versprach ich, »und wärme euch wieder.«
Die Gaswolken waren weniger geworden und leuchteten nicht mehr so lange auf. »Meine« Echse rülpste einen letzten, goldenen Feuergruß in die Luft, dann krabbelte sie von der Felskuppe und verschwand in der Dunkelheit. Ich griff nach der Strickleiter und machte mich daran, nach oben ins Mondlicht zu klettern. Mein Knie schmerzte, und auch das Knarren in den Seilen gefiel mir nicht, aber schon bald würde ich wieder oben im Freien sein, und dann hatte ich auch die vorletzte Prüfung bestanden.
Dachte ich.
Als ich die Hand nach der nächsten Sprosse ausstreckte, bekam ich kein Seil zu fassen. Meine Finger schlossen sich um etwas Kühles, Pelziges. Ein schriller Schrei ertönte, und eine Reihe messerscharfer Zähne bohrte sich in meinen Finger.
Mit einem Schlag füllte sich die Dunkelheit der Grotte mit Krallen und Zähnen, mit Flattern und Schreien. Lederartige Flügel schlugen mir ins Gesicht und in den Nacken, ich bekam keine Luft mehr, überall waren pelzige Körper. Sie zerrten an mir, bissen mich und stießen gellende Schreie aus, die sich in meine Ohren bohrten und weiter direkt ins Hirn. Mein Herz raste in meiner Brust, ich konnte mich nicht länger halten. Ich rutschte ab und fiel, taumelte, blieb für einen Moment mit einem Bein an einer der Sprossen hängen und stürzte schließlich das letzte Stück auf den unebenen Felsboden hinunter.
Aus.
Alles war aus.
Dunkelheit.
Schmerz.
Das kribbelnde Gefühl von Flügeln und Krallen, die weiter über meinen Körper krochen.
Dann war auch das verschwunden, und ich wusste nicht mehr, wo ich war.
20 EIN FREUND IN DER NOT
Clara!«
Jemand schüttelte mich.
»Clara, komm schon! Setz dich auf.«
Aber ich hatte keine Lust, mich aufzusetzen. Ich hatte keine Lust, mich überhaupt zu bewegen. Alles tat weh, und mein bescheuertes Knie hatte ganz neue, interessante Arten gefunden, mich zu quälen – ein brennendes Stechen, ein stechendes Brennen, Nadeln, die sich hinter meine Kniescheibe bohrten und elektrische Stöße in meinen Oberschenkelmuskel aussendeten.
»Clara. Du musst!«
Es war Kahla.
Kahla? Was hatte sie hier zu suchen?
»Was …«, murmelte ich. »Warum …«
Aber ich konnte die Sätze nicht zu Ende bringen. Die Worte entwischten mir, sobald ich versuchte, sie zu fassen zu bekommen. Meine Zunge war wie betäubt vor Schmerz.
»Wo tut es weh?«, fragte Kahla.
»Knie. Kopf«, stammelte ich.
Sie legte beide Hände an meinen Kopf. Sie hatte immer noch Handschuhe an, wie ich verwirrt feststellte. Aber was –
»Halt still. Ich versuche, es wegzubekommen.«
Und dann machte sie ungefähr dasselbe, was Tante Isa damals in der allerersten Nacht getan hatte. Sie strich mit ihren wollenen Handschuhfingern über
Weitere Kostenlose Bücher