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Wildnis

Wildnis

Titel: Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valentin Zahrnt
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Stämme langsam um sich selbst, andere lagen halb oder ganz auf dem Rand.
    „Holz!“ Jan musste seine Aufregung niederkämpfen, ehe er weitersprechen konnte.
    Fast gleichzeitig rief Anna: „Wir bauen uns ein Floß!“
    „Die Zeit dafür werden sie uns nicht lassen.“ Jenny blickte in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
    Michael schloss kurz die Augen, öffnete sie wieder und lächelte dünn. „Ich gehe ihnen ein Stück entgegen. Einer von euch hält von hier Ausschau, die anderen beiden bauen das Floß. Wenn ihr ablegebereit seid, ruft ihr. Jan, bleib noch einen Moment bei mir.“
    Anna zog Jenny mit sich und die beiden stiegen hastig die mannshohe Wand zur Bucht hinab.
    Michael schaute ihnen nach. „Erstarrtes Magma, als wäre die Zeit eingefroren. Ein Moment für die Ewigkeit.“
    „Wovon sprichst du?“ Jan wollte die Antwort nicht hören.
    „Wenn ich es nicht schaffe ... Sag allen, dass ich ein Verräter war. Und ein Held. Mensch, mir ist, als hätten wir eben gerade noch auf der Parkbank gesessen und ich dir zum ersten Mal von Alaska erzählt. Alles hätte damals anders verlaufen können ... Ach, verdammt, jetzt kommt mir so etwas Schlichtes über die Lippen. Aus mir wäre nie ein Dichter geworden.“
    „Red keinen Unsinn!“
    „Du wirst die richtigen Worte finden.“
    Michael schüttelte Jan die Hand, drückte ihn an sich und entfernte sich rasch.
    „Bis gleich!“, rief ihm Jan nach.
    Er kletterte hinab zu den Mädchen, die einen dünnen Stamm aus dem Wasser zogen. Jenny übernahm die Rolle der Späherin.
    Als er zupackte, fuhr ein brennender Schmerz durch seine Hände. Mit T-Shirt-Fetzen verband er notdürftig die Schürfwunden, die er sich bei seinem Sturz am Eingang der Schlucht zugezogen hatte, und arbeitete weiter. Bald hatten sie ein Dutzend Hölzer unterschiedlicher Länge und Dicke zusammengetragen und begannen, die dünnen Seitenäste abzuschlagen.
    Da sie die weite Mondlandschaft nicht einsehen konnten, beschränkte sich ihre Welt auf die eine Aufgabe, so schnell als möglich ein Fluchtmittel zu bauen, das sie lebend an ein sicheres Ufer bringen würde. Das Schlagen der Äxte, der Duft von Holz und Rinde, blutige Stofffetzen an den Händen, Schweiß in den Augen, mehr war nicht.
    Nach einer Stunde besahen sie sich die entästeten Hölzer. Reichte das? Oder sollten sie auch die krummeren, dünneren und verzweigteren Äste nehmen? Jede Sekunde war kostbar, in jedem Moment konnte ein Schrei oder Schuss ihre Arbeit unterbrechen und sie müssten sich ins Wasser stürzen, notfalls mit nichts als einem Ast in jeder Hand. Es war besser, ein Provisorium fertigzustellen, das sie danach verstärken könnten. Also reihten sie die Hölzer nebeneinander auf und legten jeden Meter einen Ast quer darüber. Die Enden des Floßes ließen sie ungleich.
    Als sie die Hölzer mit der Vordersten der Querstreben verknotet hatten, bewegten sie das Floß hin und her, um es zu testen. Die Konstruktion hielt leidlich. Für die folgenden Streben fanden sie eine solidere Methode und integrierten zudem Schlaufen, an denen sie sich festhalten könnten, selbst wenn sie von Bord gespült würden.
    „Sollen wir die Knoten, die wir am Anfang gemacht haben, noch mal lösen?“, fragte Jan und zog unzufrieden am Seil. „Oder sollen wir lieber versuchen, so etwas wie ein Ruder –“
    „Die Mörder!“, kreischte Jenny.
    Anna und Jan kletterten das Felsband hinauf. Michael kauerte hinter einem Block, auf die Distanz nur an den Farben seiner Kleidung zu erkennen.
    „Sie sind noch weit weg“, schrie Jenny, „aber jetzt rennen sie.“
    „Komm zu uns, Michael!“, brüllte Jan. „Wir können ablegen!“
    Jenny ließ sich den Absatz zum Pool hinab, Michael rannte los. Wenn er bei seinem Tempo auf dem buckligen Terrain nicht stürzte, würde er in weniger als einer Minute bei ihnen sein.
    Anna packte Jan am Arm. „Wir schieben das Floß schon halb ins Wasser!“
    Ein Schuss, Michael strauchelte und fiel kopfüber in eine Mulde. Jan wollte zu ihm rennen, doch Anna hielt ihn fest.
    Michael kam aus der Mulde gekrabbelt. Ein Bein schleifte lahm. Er sah auf, sah sie warten, blieb sitzen. „Flieht!“, brüllte er mit mächtiger Stimme.
    „Komm zu uns“, flüsterte Jan.
    Anna zerrte ihn hinab und zum Floß.
    Wieder Schüsse. Aus Michaels Gewehr. Er gab ihnen Deckung.
    Zu dritt stemmten sie sich gegen das Sammelsurium aus Schwemmholz, dem sie ihr Leben anvertrauen mussten. Das Floß rutschte über die Kante und trieb

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