Wildnis: Thriller - Band 2 der Trilogie
gefunden und wollte wohl einen Blick darauf werfen, ehe er es verkaufte. Seit dem Tod seines Geschäftskollegen hatte er ihre Holding eigenartig geführt, meist mit freudloser Disziplin, manchmal gar nicht, wenn er sich für ein verlängertes Wochenende betrank, die folgenden Tage dann mit selbstmörderischer Besessenheit. Das aktive Geschäft lief exzellent. Sie haben sechs Unternehmen verwaltet, die verschiedene Dienstleistungen rund ums Öl anbieten, von der Sondierung bis zur Sanierung. 90% des Kapitals steckt allerdings in der siebten Firma, AFI, Alaska Foresight Investment, die Bohrungsrechte im Arctic National Wildlife Refuge im Norden Alaskas kauft. Die Sache liegt so: Wer Land besitzt, dem gehört auch alles, was sich darunter befindet. Aber in einem Naturschutzgebiet darf er es nicht einfach so herausholen. In Nordalaska streiten sich Umweltschützer und Ureinwohner seit den sechziger Jahren mit den Ölgiganten, ob das Gebiet ausgebeutet werden darf. Bush Senior und Junior haben beide versucht, Bohrungen zuzulassen, aber die Demokraten haben das jeweils im Kongress verhindert. Unter Obama haben die Ölmultis erst recht keine Chance und so langsam haben sie die Nase voll vom Warten. Entsprechend niedrig sind die Preise der Förderrechte, über die jeder Landeigentümer automatisch verfügt, die er aber ohne eine Gesetzesänderung nicht ausüben darf. AFI hat seit Anfang 2010 über zwei Milliarden Dollar investiert, um solche Rechte billig aufzukaufen.“
Jan staunte. „So reich waren Wilken und Refford?“
„ Nein, die hatten jeder nur ein paar Millionen. Das Geld kam von dubiosen Investmentbanken und einigen Überseekonten. Die Quellen sind wohl in Mexiko. Ziemlich undurchsichtig, hart an der Grenze des Gesetzes.“
Ralph schöpfte mit einem Löffel Kaffee aus der Tasse, schlürfte ihn aus und legte ihn zurück aufs Tablett. „Das reicht. Kaffee wirkt bei mir wie Spinat bei Popeye, bloß dass mein Gehirn anschwillt und nicht der Bizeps. Wenn ich auch nur die Hälfte des Kaffees trinken würde, den ich mir jeden Tag einschenke, wäre ich schon auf dem Friedhof – oder in der Chefetage. Beides ungemütliche Orte. Egal. Wilken hat also bei euch vorbeigeschaut, ist ausgeflippt, abgeflogen – und das war’s. Wir haben sein Flugzeug nie gefunden, er hat nirgends Geld abgehoben, sich bei niemandem gemeldet. Nichts deutet darauf hin, dass er eine Flucht vorbereitet hatte. Sein Terminkalender war voll, von morgens bis morgens. Um die Befragung seiner Nachtkontakte hat sich das Team nahezu geprügelt.“
„ Hat das FBI herausgefunden, mit wem Michael damals telefoniert hat, um das Haus zu mieten?“ Diese Frage hatte sich Jan im Laufe der Monate immer wieder gestellt.
„ Vermutlich mit dem Mörder. Der wollte nicht irgendeine Gruppe, er wollte schöne, junge Mädchen. Sarah hat ihn wohl gelangweilt, weswegen er Michael die Idee eines erotischen Abenteuers eingegeben hat. Wir haben eine E-Mail in Michaels Account gefunden, in dem ihm ein Unbekannter, den er in einem Chat-Room kennengelernt hatte, einen poetisch-pornographischen Text gesendet hat: wie ein junger Mann mit seinem besten Freund einige Frauen nach Alaska einlädt. Und als Michael im Internet nach einer geeigneten Hütte zu suchen begann, hat sich prompt jemand bei ihm gemeldet und ihm die angebliche E-Mail-Adresse von Wilken weitergeleitet, die wir nicht mit dem wahren Wilken in Verbindung bringen konnten. Die beiden haben daraufhin geskypt, was auch nicht zu den Gewohnheiten unseres Multimillionärs gehörte. Dabei dürfte sich der Mörder versichert haben, dass Michael keine Reise mit schwulen Saunafreunden geplant hatte. Wahrscheinlich hat Michael sich damit gebrüstet, was für sexy Mädels er rumbekommen hat – und daraufhin hat ihm der Mörder das Haus außerordentlich günstig überlassen, damit er es sich nicht anders überlegt.“
Jan erinnerte sich, wie stolz Michael darauf gewesen war, dass er den Vermieter heruntergehandelt hatte. Der Mörder war gerissen: Er hatte Michael sogleich durchschaut und dessen Neigung, Andere zu manipulieren, bedient. „Aber wie ist er auf Michael verfallen? Warum hat er nicht einfach die Abschlussklasse eines Mädcheninternats aus Alaska geködert?“
„ Hier in Alaska ist das Chix-Tal vielen noch ein Begriff. Ein hübsches Mädchen verschwindet, ihr halb verwester Vater hockt plötzlich auf der Ruine seines Hauses, so was bleibt hängen. Der Mörder wäre auf Misstrauen gestoßen, besorgte Eltern
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