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Wildnis: Thriller - Band 2 der Trilogie

Wildnis: Thriller - Band 2 der Trilogie

Titel: Wildnis: Thriller - Band 2 der Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valentin Zahrnt
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ausgerichtet, dass sie halb zueinander, halb über ein rundes Tischchen hinweg nach draußen blickten. In der Glasfront spiegelten sich die Möbel und eine helle Gestalt in dem von der Tür abgewandten Sessel.
    „ Komm zu mir, Jan“, sagte eine kultivierte, leicht brüchige Stimme. „Entschuldige meine Unhöflichkeit, aber an manchen Tagen wollen meine Beine nicht so wie ich.“
    In einem Bogen näherte sich Jan dem Mann. Ein Silberknopf glänzte am Ärmel seines dunklen Anzug auf, als er sich mit einer Hand auf den Gehstock zwischen den Beinen abstützte und Jan das Gesicht zuwandte. Seine dünnen weißen Haare überdeckten sorgfältig die beginnende Glatze. Nur wenige Fältchen verrieten das Alter seiner Haut, seine grauen Augen schienen klar, nicht ein Haar stand rebellisch von seinen Brauen ab. Als habe sich das Gesicht der Eleganz und Disziplin seines Trägers unterworfen. Doch nur die linke Seite lächelte, die andere blieb starr.
    „ Bist du Albert?“, fragte Jan scheu.
    „ Nein.“ Das halbe Lächeln erstarb und nun dominierte der verkniffene Ausdruck. „Aber in einem früheren Leben hieß ich so.“
    Jans Herz pochte.
    „ Willst du nicht Platz nehmen?“
    Jan ging um den Sessel herum und setzte sich, ohne seinen Gegenüber aus den Augen zu lassen. Er konnte keine Ähnlichkeit mit sich selbst feststellen.
    „ Bist du mein Großvater?“, fragte er gebannt.
    Ein verständnisloser Blick, dann begann Alberts lebendige Gesichtshälfte zu zucken. Der Stock wackelte und klackerte gegen einen Siegelring. Albert ließ ihn fallen und schirmte mit der freigewordenen Hand das Gesicht ab.
    Jan begriff nicht, was geschah. Albert musste genau wissen, dass sie verwandt waren, schließlich hatte er aus diesem Grund mehrere Morde begehen lassen. Zugleich hatte er ihn zweimal brutal entführen lassen – Albert konnte nicht bewegt sein, seinen Enkel kennenzulernen. Wieso hatte ihn diese eine Frage dann die Fassung gekostet? Er hatte das Treffen so souverän inszeniert, hatte Jan alleine eintreten lassen, sich mit dem Rücken zu ihm platziert, mit seiner scheinbaren Wehrlosigkeit seine Überlegenheit demonstriert – und nun beherrschte er nicht einmal mehr sich selbst.
    Albert senkte die Hand wieder in den Schoß. Die Kiefermuskeln traten hervor, so fest biss er die Zähne zusammen. Er nahm einige tiefe Atemzüge und sagte ruhig, als hätte er die Fassung nie verloren: „Du bist also Lucias Enkel. Hat Oliver dir das gesagt?“
    Da er nicht wusste, was zu seinen Gunsten oder Ungunsten ausfallen würde, beschloss Jan, bei der Wahrheit zu bleiben. „Wir haben es letzte Nacht herausgefunden.“
    „ Hat er dir unsere Geschichte erzählt?“
    „ Ja.“
    „ Was hat er gesagt?“
    „ Dass ihr beide CIA-Agenten wart und du ihm vor 35 Jahren seine Geliebte geraubt hast.“
    „ Das stimmt.“ Albert ließ den Blick nach draußen schweifen. Am Himmel schillerte das Nordlicht. Diesmal mischten sich wärmere Töne dazwischen, Gelb, Orange und Karminrot überlagerten ihr Spiegelbild.
    Doch was war das? Jan beugte sich vor. In der Mitte des Tischchens, unter einer Glasplatte, lag ein Tuch mit einer kunstvollen Stickerei: ein Haus an einem bewaldeten Hügel. Dumpfe Wut quoll in Jan empor und raubte ihm die Sicht.
    Alberts Stimme drang zu ihm: „Lucia.“
    „ Lucia?“
    „ Sie hat das gestickt.“
    Waren auch die Frauengesichter das Werk ihrer Hände? Hielt Albert sie immer noch gefangen?
    „ Sie hat wundervoll gestickt.“ Selbst die gelähmte Gesichtshälfte schien zu trauern. „Das war ihr letztes Werk. Sie ist keine zwei Jahre nach unserer Flucht gestorben. Ihre Psychose hat sie das Leben gekostet. Sie hat all das nicht ertragen, die Flucht, die Heimlichkeit unseres zurückgezogenen Lebens, den Abschied vom Ballett, die Pflichten einer Mutter, die Angst vor Oliver und ... und auch die Sehnsucht nach ihm.“ Albert senkte den Blick und nickte abwesend vor sich hin. „Sie hat ihn zugleich gefürchtet und vermisst. Sie hat mir verboten, einen Killer nach ihm auszusenden. Ich habe damals erst mit dem Gedanken gespielt, ich wusste nicht, was in Washington vor sich ging. Wir hatten uns in einem kleinen Nest in der argentinischen Pampa verkrochen.“
    Lucia hatte ihm etwas verboten? Sie hatten sich verkrochen? Das klang nicht nach Entführung. Jan hielt es für klüger, seine Fragen zurückzuhalten, und tatsächlich fasste Albert seine Gedanken wieder in Worte: „Sie litt und steigerte sich immer mehr in einen Wahn hinein,

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