Wildnis: Thriller - Band 3 der Trilogie
dass Sie auch Mut besitzen.“
Jan schaute den Kommissar feindselig an und wartete. Er würde sich auf dieses Lob nicht einlassen, das nur Teil einer Destabilisierungstaktik sein konnte. Dass der Kommissar ihn auf den Steg hinausgeführt hatte und ihm nun den Rückzugsweg abschnitt, verstärkte Jans Missbehagen.
„ Und wie lange Sie Frau Herrera gestern in der Leitung gehalten haben, war beachtlich.“ Der Kommissar lächelte einladend. Da Jan nicht darauf einging, fuhr er mit ernster Mine fort: „Ein weniger gutwilliger Beobachter könnte die Dinge auch in einem ganz anderen Licht sehen. Gestern Abend vermuten Sie, dass Frau Herrera eine Bedrohung für Herrn Benounes darstellt, und suchen ihn auf. Man könnte meinen, um ihn zu schützen, aber andererseits ... Wieso haben Sie den Personenschutz in Zivil abgeschüttelt?“
Weil Annas Angst vor einer Verschwörung irgendwie auf ihn übergesprungen war, auch wenn er ihre wilden Theorien rational abgelehnt hatte, dachte Jan, sagte aber nur: „Welcher Personenschutz?“
„ Den Beamten in Ihrer Wohnung hatten sie zuvor mitgeteilt, dass sie einen Freund besuchen würden. Und da wir nicht davon ausgehen konnten, dass Sie die Adresse von Herrn Benounes kannten, waren Sie unauffindbar. Raffiniert.“ Der Kommissar machte einen Schritt auf Jan zu. „Laut ihren Angaben beim Notruf kehrten Sie heute Morgen zu Herrn Benounes zurück. Sie stießen tatsächlich auf Frau Herrera – und ließen sie fliehen. Obwohl sie den Elektroschocker hatte fallen lassen. Erst danach riefen Sie die Polizei. Riecht das für Sie nicht nach Strafvereitelung?“
Das war zu viel für Jan. „Ich habe Herrn Benounes gerettet, weil Sie versagt haben!“, schrie er. „Ich habe den Polizisten bei mir gesagt, dass Herr Benounes Schutz braucht. Und was hat die Polizei gemacht? Sie hat ihm gesagt, er soll achtsam sein. Nicht einen Mann haben Sie geschickt! Sie würden das Beihilfe zum versuchten Mord nennen oder so irgendwas, ich finde das einfach nur unfähig. Sie sind total unfähig!“
„ Haben Sie sonst noch etwas auf dem Herzen?“, fragte der Kommissar spöttisch.
„ Ich werde mich über Sie beschweren!“
„ Sie wären nicht der Erste. An dem Tag, an dem ich keine Erfolge mehr vorzuweisen habe, wird man ein Disziplinarverfahren gegen mich einleiten. Das wird viele Leute freuen, die Kriminellen, die ich hinter Gitter gebracht habe, die eifersüchtigen Kollegen und sogar etliche Mitarbeiter. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg, denn ich habe Erfolge. Ab und an entwischt mir eine osteuropäische Bande, das lässt sich nicht verhindern – eine verletzte, isolierte, unerfahrene Täterin wie Frau Herrera entkommt mir nicht.“
In Jans Wut mischte sich die Furcht um Anna.
„ Wie soll ich die Fahndungsmeldung formulieren?“ Der Kommissar hob den Kopf und kniff die Augen zusammen, da ihm die Sonne direkt aufs Gesicht fiel. „Die Flüchtige ist bewaffnet und gewaltbereit, mit plötzlicher Gegenwehr bei der Verhaftung ist zu rechnen, der Gebrauch der Schusswaffe ...“
„ Was wollen Sie von mir?“, fragte Jan gequält.
„ Was immer ich von Ihnen fordere, tun Sie es – und tun Sie nichts ohne meine Zustimmung.“ Der Kommissar hatte die Augen geschlossen und schien die Sonne zu genießen, dann wandte er sich abrupt ab und ließ Jan auf dem Steg allein zurück.
Jan spuckte ins Wasser. Farid hätte das wohl so gedeutet, dass er am liebsten dem Kommissar ins Gesicht gespuckt hätte und das nun ersatzweise am Wasser ausließ – oder dass er im übertragenen Sinne schlucken musste, was der Kommissar ihm reindrückte, und er das nun symbolisch ausstieß. Wie auch immer ...
Ein Moment der Stille. Das Schilf stand bleich in der Morgensonne, eine helle Linie zwischen den bunten Bäumen und dem dunklen Wasser. Zwei Enten schwammen das Ufer entlang, verschwanden unter dem Steg und tauchten auf der anderen Seite wieder auf.
Wie gerne würde er einfach nur hier stehen, fest und alt wie ein Baum, mit einer knorrigen Rinde! All die Ängste – um Farid, um Anna und auch vor Anna – würden an ihm abperlen, nein, sie würden für ihn erst gar nicht existieren, für ihn gäbe es nur Luft und Erde, Witterungen und Jahreszeiten.
Widerwillig drehte er sich zurück zur Villa und beobachtete die Polizisten bei der Spurensicherung. Der verwilderte Garten würde sie eine Weile beschäftigen. Ruhige Betriebsamkeit, abgeschirmt durch die Eibenhecke – und irgendwo da draußen rannte Anna,
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