Wildnis: Thriller - Band 3 der Trilogie
überzeugt, dass man ihr nach dem Leben trachtete, und zum Äußersten bereit.
Er erinnerte sich daran, wie sie im Chix-Tal vor den Mördern geflohen waren, hinter jedem Baumstamm eine Falle fürchtend, bei jedem Tiergeräusch aufschreckend, und dabei waren sie zu viert gewesen, hatten miteinander sprechen und in der physischen Anwesenheit der Anderen Rückhalt finden können. Anna hingegen war allein und verwirrt. Was mochte sie ausstehen, während sie durch den Wald hetzte?
Ein älterer Polizist kam auf den Steg und bot Jan an, dass er ihn nach Hause fahren könne. Jan willigte ein, das Adrenalin hatte seine Wirkung verloren und dumpfe Müdigkeit stieg in ihm auf. Sie gingen durch den Garten, hinaus auf die zugeparkte Straße und Jan stieg zum zweiten Mal in seinem Leben in einen Streifenwagen, diesmal auf den Beifahrersitz. Eine Polizistin brachte Jan seinen Rucksack.
Als sie am Restaurant Forelle vorbeifuhren, fiel Jan ein, dass er immer noch nichts von Chris gehört hatte. Wahrscheinlich hatte sie versucht, ihn auf dem Handy zu kontaktieren. Trotzdem ließ ihn die Sorge nicht los. Konnte Anna die vermeintliche Spionin in einen Hinterhalt gelockt haben, bevor sie sich Farid zugewandt hatte? Die Zeit zwischen ihrer Flucht aus der Psychiatrie und ihrem Auftauchen am Fenster der Villa hätte dafür gereicht. Und klein und zart, wie Chris war, hatte sie keine Chance gegen Annas Kraft.
Er fragte den Polizisten. Der wusste nichts von ihr, erkundigte sich allerdings in der Zentrale und teilte Jan mit, dass Chris am Vorabend aus dem Wohnheim verschwunden sei, ohne Angaben zu hinterlassen. Das habe keine Besorgnis hervorgerufen, da etliche Tanzschüler einen kurzfristigen Heimurlaub eingelegt hätten. Nachdem Herr Benounes angegriffen worden war, habe man bei ihren Eltern in Wolfsburg angerufen. Sie sei dort, habe jedoch das Elternhaus zum Zeitpunkt des Anrufes gerade verlassen, für einen längeren Spaziergang mit dem Hund ihres Opas.
Der hilfsbereite Polizist ließ sich erweichen, von der Zentrale die Telefonnummer von Chris‘ Eltern zu besorgen und mit der Sprechanlage des Wagens anzurufen. Es klingelte einmal, schon wurde abgehoben. „Lehmann“, sagte eine unwirsche Männerstimme.
„ Guten Tag, Jan Reber, ich bin ein Freund von Chris. Ist sie zufällig bei Ihnen?“
„ Nein.“
„ Wissen Sie, wann sie in etwa zurückkommen wird?“
„ Was weiß ich?“
„ Könnten Sie ihr –“
„ Chris!“, schrie der Mann, ohne den Telefonhörer abzudecken.
Schritte, ein Hund bellte.
„ Ja, hallo?“, meldete sich Chris.
„ Gott sei Dank!“, sagte Jan.
„ Woher weißt du denn davon?“
„ Wovon?“
„ Von Opa.“
„ Von deinem Opa? Nein, von dem weiß ich nichts. Ich bin nur erleichtert, dass es dir gut geht.“
„ Klar geht es mir gut. Ich bin auch nicht 79.“
Etwas wollte in Jan lachen. Ihr war nichts passiert! „Bin ich froh“, sagte er.
„ Bei euch ist so weit auch alles in Ordnung? Ich meine, sind die Ärzte optimistisch?“
„ Anna ist nicht mehr in der Psychiatrie. Sie ist –“
„ Was? Sie ist schon wieder entlassen worden? Das ist ja groß–“
„ Sie ist abgehauen. Und hat dafür eine Geisel genommen, der sie mit einer Schere den Hals halb aufgeschlitzt hat.“
„ Oh! Verdammte Kacke!“
„ Ja, und danach ist sie zu dem Psychiater, der sie behandelt hat, ein sehr netter Mensch, und den hat sie mit einem Elektroschocker k.o. gesetzt und wollte ihn gerade verbrennen, als ich dazwischengekommen bin.“
„ Hat sie dich wieder angegriffen?“
Jan dachte an Annas verunstaltetes Gesicht, ihren hasserfüllten Blick, als sie zum Schlag mit dem Elektroschocker ansetzte. „Nein, sie ist davongerannt. Das war vor einer Dreiviertelstunde, die Polizei hat sie noch nicht erwischt.“
„ Ich sollte eigentlich in Berlin sein und –“
„ Bleib lieber, wo du bist, bis Anna wieder in der Klinik ist. Sie meint es ganz sicher nicht so, aber sie hat dich beschuldigt, im Dienst der Verschwörung zu stehen, mit der wir in Alaska zu tun hatten.“
„ Holy shit!“
„ Sie spinnt sich irgendetwas zusammen und du bist auf ihrer Liste. Neben Schiefer und Benounes, dem Psychiater, den sie eben umzubringen versucht hat. Also sei vorsichtig!“
„ Wie kommt Anna nur darauf? Jetzt hätte ich fast gesagt: Ist die verrückt? Ich meine, beim Kommissar kann ich es verstehen, aber was hat sie gegen den Psychiater und mich?“
„ Für ihre Aggressionen gegen den Psychiater gibt es eine
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