Wildnis: Thriller - Band 3 der Trilogie
passiert ist.“
„ Die letzten Monate war ich nicht ich selbst, und dass ich in der Umkleide ausgeflippt bin, tut mir leid.“ Sie hatte ihre störrische Haltung aufgegeben und die Augen niedergeschlagen. Nun legte sie irritiert die Stirn in Falten. „Was ist mit Rainer?“
„ Du warst nicht dabei, nicht wahr?“
„ Bei was?“
„ Als er gestürzt ist.“
„ Er ist gestürzt? Hat er sich etwas gebrochen?“
„ Er ist vom Schwebebett in der Tanzhalle gefallen.“
Sie beugte sich ruckartig nach vorne. „Das sind fast zehn Meter! Und der Boden darunter ist knallhart! Was ist mit ihm?“
„ Er liegt auf der Intensivstation, mit einem Schädelbasisbruch. Der Zustand soll kritisch sein.“
Sie schüttelte stumm den Kopf.
Jan beobachtete sie genau. „Ich habe Rainer auf dem Weg nach draußen getroffen. Ich dachte, er ginge zu dir.“
„ Nein. Ich habe ihn nicht gesehen.“ Anna schien weiterhin von Rainers Unfall betroffen zu sein, ohne Jans Misstrauen zu erkennen. „Schrecklich, die Vorstellung, dass ich das hätte verhindern können, vielleicht, wenn ich aus irgendeinem Grund nochmal in die Halle gegangen wäre. Aber ich habe mich einfach nur schnell umgezogen und bin noch eine Weile herumgelaufen. Weil ich so aufgeregt war, wegen unseres Streites. Und ich habe mir eingestanden, dass ich eigentlich daran schuld war.“
„ Das würde ich auch eher so sehen.“
„ Ich bin ziemlich lange unterwegs gewesen, ohne aufzupassen, wo ich hingegangen bin. Ich habe mich gefragt, woran das alles liegt, nicht nur heute Abend, die ganzen letzten Monate. Irgendwann wurde mir klar, dass es die Angst war, ich meine, vor dem ersten Mal, und dass ich mir das davor nicht eingestanden und meinen Stress an uns beiden ausgelassen habe.“
Er griff nach ihrer Hand. „Entschuldige, wenn ich dich zu sehr gedrängt habe.“
Sie senkte den Kopf und schlug verführerisch langsam die Augen auf.
„ Ich habe noch eine Frage.“ Er schluckte. „Was ist mit Rainer gelaufen?“
„ Was soll mit ihm gelaufen sein?“
„ Hast du ihn privat gesehen?“
„ Du meinst, außerhalb der Tanzschule?“
„ Oder außerhalb der normalen Übungszeiten.“
Sie musterte ihn ausdruckslos und zuckte schließlich andeutungsweise mit einer Schulter. „Ja, na und?“
„ Wie oft? Wozu?“
„ Ich lasse mich so nicht zur Rede stellen!“ Sie hielt inne und setzte neu an: „Von mir aus. Er ist in den letzten Wochen ab und an nach dem regulären Training zu mir gekommen und wir haben einige schwierige Partnersprünge geübt. Immer etwa eine halbe Stunde, länger hält man das nicht durch. Danach haben wir uns meist noch ein paar Minuten unterhalten. Das ist alles.“
Sie klang glaubwürdig. Aber sie hatte nichts von Rainers Annäherungsversuchen erwähnt, die Chris die vergangenen Monate über beobachtet hatte. Sollte er sie darauf ansprechen? Und auch auf das Speed? Damit könnte er sie beleidigen. Und über Rainer konnten sie sich in Ruhe ein andermal aussprechen.
„ Kann ich dir vertrauen?“, fragte er.
„ Ich schwöre.“
Jan horchte in sich hinein, ob sich das alles richtig anfühlte, stand auf, ging um den Tisch und legte seine Hände auf ihre Schultern. Es fühlte sich äußerst richtig an. Er packte sie an der Taille, zog sie hoch und stieß den Stuhl mit einem Fuß zur Seite, dass er umkippte, umschlang sie von hinten, bedeckte ihren Hals mit Küssen – und brach jäh ab, als es an der Tür klingelte.
Es klingelte erneut, mehrfach hintereinander. Jan eilte in den Flur, drückte auf den Knopf der Sprechanlage und meldete sich.
„ Hier ist die Polizei. Machen Sie sofort auf“, rief eine Stimme hinter der Tür.
Jan brauchte eine Sekunde, um das zu verarbeiten, schon wurde an die Tür gehämmert. Er öffnete, mehrere Männer und Frauen in Zivil drängten in die Wohnung, der letzte schlug die Tür zu. Er hielt seinen kantigen Kopf nach vorne gebeugt ebenso wie die Schultern und reichte dennoch fast bis zum Türrahmen. Seine kurzgeschorenen Haare und die gespannte Haut über seinen Wangenknochen ließen ihn krankhaft aussehen. Jan musste an mittelalterliche Gemälde von Gevatter Tod denken, auch wenn dieser Mann kaum vierzig Jahre alt sein mochte.
„ Ich bin Kommissar Schiefer“, sagte der Dürre, während ein Polizist Jan auf Waffen filzte. „Ich habe einen Durchsuchungsbeschluss des Staatsanwalts zur Sicherung von Beweismitteln im Fall Rainer Spoerl. Sie haben das Recht, bei der Durchsuchung anwesend zu sein.
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