Wildnis: Thriller - Band 3 der Trilogie
Schrank und schlug ihn zu. Die Schritte waren nicht mehr zu hören, die Person musste sich auf seinem Stockwerk befinden. Nach einigen Sekunden stieg sie weiter, hinauf zum fünften und letzten Stock.
Er wollte den Schrank wieder öffnen, da begriff er, dass er am falschen Ort suchte. Wenn Anna wirklich etwas vor ihm verbarg, würde sie es kaum in seinem Zimmer lassen.
Jan schloss die Wohnungstür von innen ab und ging ins Wohnzimmer. Wenn Anna die Tür öffnete, mochte die Zeit gerade reichen, um alle Spuren zu beseitigen. Den Schlüssel stecken zu lassen, wäre zu unüblich, zu verdächtig. Vor allem könnte Anna es als Zeichen deuten, dass er sie nicht sehen wollte, und wieder gehen. So unangenehm es ihm war, er musste das Risiko eingehen und sich auf Gehör und Reaktionsgeschwindigkeit verlassen.
Zunächst durchsuchte er die Kleidung, die sie bei sich in Reichweite aufhob: Slips, BHs, Socken, Pyjamas, Tücher, Handschuhe und Mützen. Dabei fand er eine gewagte Dessous-Kombination, die er bei Anna nie vermutet hätte. Als Nächstes nahm er sich ihre Sportsachen vor, dann ihre sonstigen Freizeitutensilien, ihre Handtaschen, ihre Verwaltungsordner. Nichts. Er prüfte, ob sie nicht etwas unter die Einlagebretter geklebt hatte. Fehlanzeige.
Für einen Moment fühlte er sich erleichtert, dass er nichts gefunden und sie ihn nicht überrascht hatte, während er in ihren Sachen stöberte. Doch irgendetwas beunruhigte ihn, etwas, das er gesehen und doch übersehen hatte.
Er kontrollierte sein Handy. Kurz vor 22 Uhr, kein Anruf, keine SMS. Er könnte noch ihre Bücher durchblättern oder den Keller durchwühlen. Beides würde viel Zeit in Anspruch nehmen. Er ließ seinen Blick über ihre Ballett-Bildbände gleiten, das Bolschoi-Theater kam ihm in den Sinn. Da hatte doch einer der Tänzer dem Intendanten Säure ins Gesicht geschleudert, weil er eine Rolle nicht bekommen hatte, nein, seine Freundin war bei der Besetzung übergangen worden, so war es gewesen. Konnte eine derartige Intrige hinter Rainers Sturz stehen?
Jan ging ins Bad. Das Gefühl, dass er etwas übersehen hatte, stellte sich wieder ein – und, dass er es fast greifen konnte, dass die Lösung irgendwie anwesend war. Er setzte sich auf den Rand der Badewanne und ließ ihre Besitztümer vor seinem inneren Auge Revue passieren. Alles war so normal, so unverdächtig, so nützlich ...
Das war es! Er war auf nichts Persönliches aus ihrer Vergangenheit gestoßen: kein Foto, kein Tagebuch, kein Brief. Im Keller konnte sie solche Dinge nicht aufbewahren. Das alte Gewölbe war zwar erfreulich trocken, aber um längerfristig Papier einzulagern, dafür waren die Bedingungen dann doch nicht geeignet. Und bei ihrer neugierigen Mutter hatte sie private Aufzeichnungen und Erinnerungen bestimmt nicht zurückgelassen. Hatte sie ihre Vergangenheit vernichtet?
Jans Schläfen pochten. Er beschloss, ein Aspirin zu nehmen, klappte das Schränkchen unter dem Waschbecken auf, stellte die Box mit ihren Medikamenten auf den Boden und überflog die Aufschriften auf den Verpackungen. Luminal, Ibuprofen, Paracetamol, Aspirin. Sein Blick wanderte zurück zu Luminal, diese Bezeichnung sagte ihm nichts. Er nahm die Packung, öffnete sie und faltete den Beipackzettel auseinander.
Der Zettel entglitt seinen Händen.
Er nahm ihn wieder auf und las nochmals den Verwendungszweck: ‚krampfhemmende und krampflösende Wirkung bei epileptischen Anfällen‘.
Sie musste wieder an Epilepsie leiden!
Oder sie hatte sich das Medikament vorsichtshalber besorgt. Diese Hoffnung zerfiel, als Jan sah, dass sämtliche Tabletten aus dem Blister herausgedrückt waren.
Das Medikament war verschreibungspflichtig. Anscheinend war sie nicht mehr zum Arzt gegangen, um sich Nachschub zu besorgen, sondern hatte die Behandlung abgebrochen. Benahm sie sich deswegen so seltsam – eine Art Entzugserscheinung? Das konnte nicht erklären, wieso es ihr über einen längeren Zeitraum schlecht ging. Dazu passte eher eine Wechselwirkung zwischen Luminal und Speed. Aber sie nahm keine Drogen!
Er begann, die lange Liste der Nebenwirkungen zu studieren. Die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen und er musste immer wieder neu ansetzen. Schließlich steckte er den Zettel ein, um sich später Klarheit zu verschaffen, verstaute die Box wieder im Schränkchen und ging ins Wohnzimmer.
Eigenartig, dass sie nichts von einem Anfall gesagt, aber das Medikament an einem so zugänglichen Ort aufbewahrt hatte. Auch wenn seine
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