Wildnis
sich noch einmal an. „Mit anderen Worten, du tust, als ob du ein taubstummer Bettler bist, gehst nach oben und siehst dich um.“
„Ja“, sagte Newman mühsam. „Und wenn mich jemand erwischt, geb’ ich ihm die Karte.“
Hood machte schmale Lippen und hob die Augenbrauen. „Nicht schlecht. Aber du siehst zu gepflegt aus.“
Er holte einen Fischerhut aus Filz aus dem Handschuhfach. „Setz ihn mal auf. Lass ihn so zerknautscht und dreckig wie er ist. Bloß nichts dran machen.“
Newman setzte den Hut auf. „Okay“, befand Hood. „Aber das Hemd geht so nicht.“ Er holte das Klappmesser heraus und machte es auf. „Ist es schlimm, wenn das Hemd draufgeht? Ich möchte die Ärmel abschneiden, knapp an der Schulter.“
„Nur zu.“ Newman atmete kurz und stoßweise.
Hood schnitt die Ärmel ab. Als er fertig war, lehnte Newman sich vor und rollte die Hosenbeine bis über die Knöchel hoch. Seine nackten Beine über den blauenPuma-Laufschuhen waren blass. Er steckte sich die Taubstummenkarte ins Hutband.
„Ich geh’ mal vor“, sagte Hood. „Den Verkäufern hab’ ich gesagt, dass ich mich ein bisschen umsehen will und vielleicht noch mal wiederkomme. Dann kommst du nach und gehst gleich nach hinten, du siehst die Treppe dann schon.“
Newman nickte.
„Wenn’s Ärger gibt, brauchst du nur zu rufen, ich bin in einer halben Sekunde oben. Und hab keine Hemmungen, die Kanone zu benutzen. Dazu hast du sie ja.“
„Okay.“
Hood grinste. „Ich gehe jetzt. Du kommst mir gleich nach.“
„Okay.“
Hood grinste wieder, zeigte mit dem Daumen nach oben und stieg aus. Newman saß ganz still. Er kam sich dick vor, wie von einer Isolationsschicht umgeben, hinter der die Wirklichkeit fern und unscharf erschien. Hood betrat das Geschäft und Newman stieg aus und folgte ihm.
Es war ein schäbiger Schuppen mit billigen, geschmacklosen Möbeln. Imitationsplüsch in schreienden Rot- und Blautönen. Hölzerne Zweiersofas mit kleingemusterten Bezügen im Pseudokolonialstil. Newman registrierte vage, wie rechts von ihm Hood mit einem Verkäufer sprach. Ganz rechts hinten hatte sich einzweiter Verkäufer über einen Tisch gebeugt und schrieb etwas in ein Buch. Newman ging rasch nach hinten und stieg die Treppe hinauf. Niemand sprach ihn an. Oben erstreckte sich die Galerie rechtwinklig zur Treppe über den hinteren Teil des Ladens. In der Wand befanden sich drei Türen mit Milchglasscheiben. Der Verkäufer mit dem Buch war jetzt durch die Galerie verdeckt, der andere sprach immer noch mit Hood.
Newman kam sich desorientiert und unwirklich vor. Seine Kiefer schmerzten, er merkte, dass er die Zähne zusammenbiss. Er lockerte die Kiefermuskulatur. Plötzlich spürte er den Revolver nicht mehr in der Leistengegend. Er fasste mit der linken Hand hin, als müsste er sich kratzen. Der Revolver war noch da. Er wartete auf die erlösende Welle der Erleichterung, aber er wartete vergeblich.
Abwesend trat er auf die Galerie und öffnete die erste Glastür. Der Raum war fensterlos und leer. Licht kam nur durch die offene Tür und die Trennwand zum Nebenraum, die ebenfalls aus Milchglas war. In dem Zimmer stand ein grauer Konferenztisch aus Metall und fünf Klappstühle. Auf dem Tisch lagen eine Zeitung und ein leerer Pizzakarton mit ein paar trockenen Teigrändern. Zwei Pappbecher standen daneben. In einer Ecke stand ein Ventilator. Das war die ganze Einrichtung.
Newman machte die Tür so leise wie möglich wiederzu. Er musste sich jede Bewegung genau überlegen, keine kam von selbst. Nichts ging automatisch. Er trat zurück. Im Büro nebenan brannte Licht. Ich könnte Chris sagen, dass ich es versucht habe, dass abgeschlossen war und ich oben niemanden gefunden habe. Ich könnte mich umdrehen und nach Hause gehen. Und wäre in Sicherheit.
Er trat an die nächste Tür heran. Hinter ihr war Licht zu sehen. Von unten fragte jemand: „Sagen Sie mal, was machen Sie denn da?“
Die Angst war seine Rettung. Er war wie betäubt und reagierte nicht, sondern drehte gedankenlos und starr vor Furcht den Türknauf auf und trat ein.
Adolph Karl saß an einem Schreibtisch mit Blick zur Tür, er hatte die Füße auf die Schreibtischplatte gelegt und die Jacke ausgezogen und telefonierte. Ich könnte ihn jetzt erschießen, dachte Aaron. Links an einem kleinen Tisch an der Wand saßen die beiden Männer, die mit Karl hergefahren waren, und spielten Karten. Jeder hatte eine offene und eine verdeckte Karte vor sich. Blackjack, dachte
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