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Wildnis

Wildnis

Titel: Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Parker
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nur sie allein meinem Leben einen Sinn geben. Motten flatterten im Lichtkreis der Straßenlaterne. Ich muss mich wenigstens ein bisschen abgrenzen. Wie ein Kind, das zur Schule kommt. Das gehört zum Erwachsenwerden dazu. Wie ein Mädchen, das aufs College geht. Ich darf sie nicht mehr so ausschließlich zum Mittelpunkt machen. Eine wuschelige graue Katze mit weißem Sattel strich lautlos vorbei, sprang über die Friedhofsmauer und verschwand zwischen den Grabsteinen. Herrgott, ich tu’ das doch für sie. Wie kann sie so abweisend sein? Eine zehn Jahre alte Chevrolet ImpalaLimousine bog um die Ecke, vorn und auf der Rückbank mit Jugendlichen besetzt. Einer schrie Newman etwas zu, er konnte die Worte nicht verstehen. „Pass nur auf, dass ich dich nicht umlege, mein Junge“, sagte er halblaut. „Dir sollte man mal ein paar Manieren beibringen.“
    Insekten umschwirrten ihn. Die haben nicht lange gebraucht, um mich zu entdecken, dachte er. Die Wege des Herrn sind oft dunkel, aber nie wunderbar. Er schlug nach einer Mücke. Was soll ich sagen, wenn ich zurückkomme? Oder morgen früh? Er hatte Angst vor dem Schweigen, der Höflichkeit ohne Wärme. Aber entschuldigen werde ich mich nicht. Kommt überhaupt nicht in Frage. Ich bin im Recht. Sie hätte zu mir halten müssen. ‚Bitte, bitte, pass auf dich auf, Schatz. Ich überleb es nicht, wenn dir was passiert.‘ Das hätte sie sagen müssen, jawohl. Immer diese verdammte Sachlichkeit, diese eiserne Beherrschung. Warum kann sie nicht wenigstens ab und zu mal das Weibchen spielen? Er schüttelte den Kopf, um die sirrenden Plagegeister abzuwehren, stand auf und ging über die Straße in Richtung Bibliothek. Mit dem Sex war es genau dasselbe. ,Komm …‘ Er ahmte lautlos ihre hohe Stimme nach … ,Komm, lieg jetzt still, und ich nehme dich hier und reibe dich da und … nein, nein, nicht anfassen … und dann mache ich das und dann jenes, und jetzt sind wir soweit und können ihn reinstecken.‘ Scheiße.
    Er ging heim. Chris war weg. Die Küche war aufgeräumt. Er ging nach oben. Janet lag auf der Seite, mit dem Rücken zu ihm, dem Fernsehgerät auf dem Nachttisch zugewandt, einen Kopfhörer im Ohr. Er hätte nicht einmal sagen können, ob sie noch wach war. Manchmal schlief sie in dieser Stellung ein und der Fernseher lief die ganze Nacht.
    Er legte sich neben sie auf den Rücken, ohne sie zu berühren, und unterdrückte die Tränen, die in ihm aufstiegen. Vorsichtshalber legte er sich noch das Kissen übers Gesicht, damit sie nur ja nichts merkte. Aber gleichzeitig hoffte er, dass sie ihn hören würde, wartete darauf, dass sie sich über ihn beugen und sagen würde: ,Nicht weinen. Ich liebe dich …‘ Und dass sie das Kissen wegzog und ihn küsste. ,Es tut mir leid, dass ich dir wehgetan habe‘, würde sie sagen. ,Ich habe immer nur dich gewollt.‘ Aber sie tat es nicht. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass es je dazu gekommen wäre und jedes Mal fragte er sich, weshalb er doch mit der Möglichkeit rechnete. Nach dreiundzwanzig Jahren müsstest du eigentlich wissen, was du erwarten kannst und was nicht. Herrgott, was bist du für ein Trottel.
    Es kostete ihn viel Kraft, aber schließlich hörte er auf zu weinen, lag still und von Selbstmitleid erfüllt in dem dunklen Raum und sah zur Decke, die Hände auf dem Leib gefaltet, die Augen weit geöffnet.

12
    Ein Mann namens Steiger sah aus einem Fenster im 9. Stock des Hyatt Regency Hotel in Cambridge auf den Charles River herunter und über die Gebäude der Universität von Boston. Hinter ihm lag eine blonde Frau mit dunklen Augen nackt auf dem Bett und las in einem Boston Reiseführer. Steiger wandte sich zu ihr um.
    „Wenn du dir schon die Haare bleichst, Angie, warum dann eigentlich nicht alle?“
    „Das weißt du ganz genau. Weil sonst niemand alle zu sehen kriegt.“
    „Außer mir.“
    Sie lächelte. „Außer dir.“
    „Soll ich dir was aufs Zimmer kommen lassen?“
    Sie schüttelte den Kopf.
    „Wein, Bier, ein paar Häppchen?“
    „Nein. Lass mich hier noch ein bisschen liegen und abkühlen.“
    Es klopfte. Steiger öffnete. Ein Bote streckte ihm ein in Packpapier gewickeltes Paket entgegen. Steiger nahm es ihm wortlos ab, machte die Tür zu und kam mit dem Paket in der Hand ins Zimmer zurück.
    „Was ist das?“, fragte die Blonde.
    „Eine Kanone. Wenn ich fliege, kann ich keine mitnehmen, da haben wir verabredet, dass sie mir eine hierher liefern.“
    Unter dem Packpapier kam ein Schuhkarton

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