Wildnis
mit dem Aufdruck Florsheim zum Vorschein, darin lag, in ein blaues Frotteehandtuch gewickelt, eine Faustfeuerwaffe. Es war eine Ruger Blackhawk im Schulterhalfter. Außerdem lag in dem Schuhkarton noch eine Schachtel Remington Munition, Kaliber 0.44.
Steiger nahm den Revolver aus dem Halfter, vergewisserte sich, dass er ungeladen war, prüfte Verschluss, Schlagbolzen und Lauf, ließ die Trommel rotieren und nickte vor sich hin. Er verstaute den Revolver wieder im Halfter, legte Waffe und Halfter in den Schuhkarton zurück und stellte ihn in den Kleiderschrank.
„Für wen ist das?“, fragte die Blonde.
„Newman heißt der Typ. Aaron Newman. Schriftsteller.“
„Was hat er angestellt?“
Steiger zog sein Hemd aus und hängte es ordentlich auf einen Bügel. Im Schrank hingen, präzise ausgerichtet, zwei Anzüge, drei Hosen und zwei Sportsakkos. Jedes hatte genügend Platz.
„Er hat was gesehen, was er nicht sehen sollte, und sie haben Angst, er könnte aussagen.“
„Sollst du ihn umbringen? Oder sollst du ihm nur sagen, dass er den Mund zu halten hat?“
Steiger stieg aus der Hose und hängte sie auf. Er glättete die Bügelfalte zwischen Daumen und Zeigefinger. „Dass er den Mund zu halten hat, haben sie ihm schongesagt. Aber jetzt kriegen sie es mit der Angst zu tun. Sie haben den Eindruck, dass die Cops hinter ihnen her sind und da wollen sie auf Nummer sicher gehen. Ich hab’ den Eindruck, dass sie mit dieser Sache ganz schön reinrasseln können.“
„Du wirst also diesen Dingsbums umlegen.“
„Newman“, sagte Steiger. „Ja.“
„Wie lange brauchst du?“
„Eine Woche, würde ich sagen. Ich seh’ mich immer gern ein bisschen um. Wenn man irgendwo ankommt und gleich losballert, kommt man meist nicht weit. Ich bin jetzt schon lange im Geschäft, aber noch nicht einmal wegen eines bewaffneten Raubüberfalls haben sie mich geschnappt. Und weißt du warum?“
„Weil du dich vorsiehst.“
„Und seit dem Jahr, wo ich dich kennen gelernt habe, bin ich nicht mehr im Knast gewesen. Und weißt du warum?“
„Weil du dich vorsiehst.“
„Eben. Und noch was: Wenn ich mich zu sehr beeile, kriegen wir nichts von Boston zu sehen und kriegen das Hotel nicht bezahlt. Bloß nichts übereilen.“
Er ging unter die Dusche. Die Blonde las ihren Reiseführer. Zehn Minuten später kam er wieder heraus, das Haar mit einem Handtuch trocken rubbelnd. Sein Körper war glatt und glänzend vom Duschen. Sie sah ihn an.
„Du bist schon ein toller Typ. Vierzig Jahre und nicht fünfzig Gramm Fett auf dem Leib. Was hast du gewogen, als ich dich kennengelernt habe?“
„Einundachtzig Kilo.“
„Was wiegst du jetzt?“
Steiger lächelte. „Einundachtzig Kilo und fünfzig Gramm.“
„Fünfzig Gramm in zweiundzwanzig Jahren – ein Bild von einem Mann.“
Steiger steckte einen braunen Föhn in die Steckdose über dem Nachttisch und setzte sich zum Haaretrocknen aufs Bett.
„Zweiundzwanzig Jahre?“ Er nahm eine Lucky Strike aus einem Päckchen auf dem Tisch, schob sie in den Mund und zündete sie mit einem silbernen Feuerzeug an. „Da warst du ja noch ein Baby. Ganz schön lange, zweiundzwanzig Jahre.“
„Ich war vierzehn.“ Sie fuhr mit der Hand an seinem Schenkel entlang. „Damals.“
Er legte seine Hand auf die ihre. „Verrät dir dein schlaues Buch, was wir vom Fenster aus sehen?“
„Ich weiß gar nicht, wie’s draußen aussieht.“
„Dann schau mal hin.“
Sie stand auf und trat ans Fenster. Er besah sich ihren nackten Rücken. Sie war nahtlos braun. Sie sah aus dem Fenster auf den Fluss und die Boston University am anderen Ufer.
„Es ist eine Schule“, sagte sie. „Oder ein College.“ Sie schlug das Buch auf. „Ich glaube, es ist die Boston University.“
Er schaltete den Föhn aus und kam zu ihr. Sie reichte ihm nicht mal bis zur Schulter. Sie lehnte sich an ihn. Unter ihnen steuerte ein Motorboot, das in seinem Kielwasser ein breites, symmetrisches V über die Wasserfläche zeichnete, langsam den Hafen an.
„Wie wär’ das wohl gewesen, wenn wir aufs College gegangen wären“, sagte sie. „Du hättest Football gespielt, und ich wär’ Cheerleader gewesen. Und wir hätten was gelernt und könnten über Bücher reden und –“ Sie zuckte mit den Schultern.
Steiger hatte die brennende Zigarette im Mund und ließ den Rauch über sein schmales, dunkles Gesicht ziehen.
„Wir brauchen kein College“, sagte er. „Wir haben alles, was wir brauchen.“
„Wir haben
Weitere Kostenlose Bücher