Wildnis
Zweihundert-Pfund-Hanteln – zehn Wiederholungen, warten, zehn weitere Wiederholungen, warten, zehn weitere Wiederholungen – verfügte er über Kräfte, die Karl fehlten. Und bei zwei gleichermaßen verzweifelten, verängstigten und zornigen Gegnern war es schließlich die Kraft, die den Ausschlag gab. Der Brustmuskel wölbte sich, der Trizeps zeigte eine Vertiefung an den Oberarmen. Die Unterarmmuskeln spannten sich unter der Haut, der Nacken war verdickt vor Anstrengung, die Trapezmuskeln ließen die Schultern anschwellen.
Karl würgte und stieß leise Krächzlaute aus, während Newman ihn zurückbog. Der Verband an Newmans linkem Arm hatte sich gelöst und flatterte lose herum. Die Wunde blutete wieder, es tropfte rot an seinem Arm herunter. Karl fuhr Newman mit gespreizten Fingern ins Gesicht und versuchte, ihm die Augen auszudrücken.Newman verstärkte den Druck. Er stöhnte und stieß wie beim Gewichtstemmen explosionsartig die Luft raus. Karl war ihm nicht gewachsen. Er fiel rücklings ins Wasser, und dann war Newman über ihm, die Hände noch immer an seinem Hals und in seinem Hemd verkrallt. Er drückte Karl zurück auf den Seegrund. Die blutende Armwunde färbte das Wasser um sie herum rosa. Karl strampelte mit den Beinen. Er gab es auf, mit den Händen nach Newmans Gesicht zu krallen und versuchte stattdessen, Newmans Hände zu fassen und unter Wasser seinen Griff zu lösen. Doch der verstärkte den Druck nach unten, spürte die Kraft in Rücken und Schultern, spürte die Stärke seiner Arme. Es war ein gutes Gefühl, wie die Muskeln sich spannten und angespannt blieben. Karl gab keinen Laut von sich. Er wölbte den Körper, schlug mit den Beinen um sich, kämpfte mit den Händen gegen Newmans Griff an. Newman blieb fest wie ein Fels. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er biss sich vor Anstrengung auf die Unterlippe, bis Blut kam, das ihm übers Kinn lief und das Rot des Wassers vertiefte. Die Augen hatte er geschlossen. In dieser Stellung verharrten sie, bis Karls Widerstand erlahmte und schließlich ganz aufhörte. Newman drückte ihn auf den kiesigen Seeboden hinunter, die Arme zuckten nicht mehr, sie hingen schlaff herunter und bewegten sich leicht in dem Wasserwirbel. Newman hielt eisern fest, Minuten länger als nötig. Hielt ihn fest, als er schon tot war, hieltihn, als könne er ihn nie mehr loslassen, als müsse er so stehenbleiben, bis im Frühjahr das Wasser anstieg und sie beide bedeckte. Ganz langsam begann sich sein Körper zu entkrampfen. Er lockerte seinen Griff, hatte sich aber immer noch vorgebeugt und drückte leicht auf Karls Brust. Der Trapezius entspannte sich, die Muskelstränge in den Unterarmen wurden wieder glatt. Er ging, noch immer über ihm, in die Hocke, holte tief und zitternd Luft und stieß sie durch fest geschlossene Lippen langsam wieder aus.
Es dauerte eine Viertelstunde, bis Newman wieder stehen konnte. Er zitterte am ganzen Körper. Taumelnd watete er zum Ufer. Blut rieselte ihm über den linken Arm und übers Kinn. Sein Gesicht hatte ein paar Kratzer und Dellen mehr. Und über die Brust zogen sich fünf parallele rote Male, Spuren der Fingernägel, die Karl in verzweifeltem Todeskampf in seine Haut gekrallt hatte.
Er erreichte das Ufer und setzte sich mit dem Rücken zur Böschung auf einen Stein. Sein nasser, halbnackter Körper kühlte rasch aus. Es ging ein leichter Wind. Es war September. Er fröstelte. Er schlug die Arme um den Körper, zitternd vor Erschöpfung, bebend vor Erregung, schlotternd vor Kälte. So saß er eine Stunde, bis Janet aus dem Wald kam und ihn fand.
32
In Daunenweste und Nylonparka, aber noch immer fröstelnd, wartete Newman stumm, bis Janet das Kanu gefunden hatte. Er hatte sich ganz in sich selbst zurückgezogen, als sie auf den stillen See hinauspaddelten und geraden Kurs auf die Blockhütte nahmen. Sein Arm schmerzte beim Paddeln, aber er ließ sich nichts anmerken, registrierte es kaum. In der Mitte des Sees ließen sie das Kanu treiben und warfen alles außer dem Verbandskasten und den Sachen, die sie am Leibe hatten, über Bord. Den Karabiner behielt er bis zuletzt. Er trennte sich ungern von ihm. Er war kompakt und wohlgeformt, es war ein gutes Gefühl, ihn in der Hand zu haben. Er hielt ihn einen Augenblick mit dem Lauf nach unten auf Armeslänge von sich, dann ließ er ihn los. Er glitt lautlos ins Wasser und versank.
„Komisch“, sagte er.
„Was ist komisch?“
„Ohne Knarre zu sein. Als ob etwas fehlt.“
Sie
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