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Wildwasserpolka

Wildwasserpolka

Titel: Wildwasserpolka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Kuepper
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und kurve ohne irgendwelche Auffälligkeiten durch Betzdorf. Langsam beruhigt sich mein Herzschlag, ich höre auf zu schwitzen – bis kurz hinter Kirchen die Öllampe aufleuchtet.
    Ahnte ich es nicht, als ich die Besitzerin dieses Fahrzeugs zum ersten Mal sah? Gestresste Mütter überprüfen die Windeln ihres Babys, nicht den Ölstand ihres Autos.
    Wieder muss ich an Denise denken, an unsere reibungslose Zusammenarbeit, wenn es darauf ankam. Nein, weise ich mich zurecht. Nein, nein, und nochmals nein. Es wäre unverantwortlich, sie in die Geschichte reinzuziehen.

    Bis in die Stadt Siegen ist es nicht mehr weit, doch als ich ein Hinweisschild nach Freudenberg entdecke, biege ich kurz entschlossen ab. Tue das Unerwartete! Niemand wird von mir erwarten, dass ich ausgerechnet in einem kleinen Touristennest Zuflucht suche, wo die nächste Großstadt nicht weit ist.
    Aber genau das werde ich tun.

13
    Ein Dieb hält keine Rede.
    Aus Afrika

    Der ›Alte Flecken‹ ist der historische Stadtkern Freudenbergs, der sich seit seinem Bau im 17. Jahrhundert beinahe nicht verändert hat. Ich kenne den Ort von einem einige Jahre zurückliegenden Betriebsausflug des Möbelhauses Stegemeier, an dem ich mit eingeschränktem Enthusiasmus teilgenommen habe. Aber Freudenberg ist wirklich reizend. Vor allem deshalb, weil es rund ums Jahr Besucher gewohnt ist und niemand durch die Gardinen linst, wenn eine Fremde auf der Straße vorbeigeht. Niemand wird dich fragen, was dich hierher verschlagen hat, denn die Frage beantwortet sich von selbst. Ein idealer Unterschlupf also.
    Ich checke in einem Hotel am Rande der Altstadt ein, wie üblich unter fremdem Namen.
    ›Falsche Legenden sind das A und O für gelungene Observationen höherer Komplexitätsgrade‹ wurde uns beigebracht, und auch diesen Lehrsatz habe ich für mich fruchtbar machen können. Wenn ich irgendwo einchecke, nie mit meinem Personalausweis – den habe ich grundsätzlich vergessen, biete dafür aber stets ›meinen‹ Führerschein an. Besagtes Dokument habe ich vor Jahren meiner alten Bekannten Gabi entwendet, als Gnadenakt, sozusagen. Auf dem Passbild aus ihrer Jugend trägt sie eine fest verschraubte Zahnspange, weshalb sie es niemandem mehr vorzeigen mochte, und das konnte ich durchaus verstehen: Das Foto erinnert an ein aufgetrenstes Pferd. Ich war sofort hin und weg, als ich es sah. Haarfarbe, Frisur: alles sehr ähnlich wie bei mir. Und wer kann schon sagen, ob es sich bei dem 20 Jahre alten Bildnis eines verschreckt glotzenden Mädchens, das eine Kandare mit pinkfarbenen Zügeln im Gesicht trägt, um die Frau handelt, die gerade vor einem steht? Niemand. Und niemand, wirklich niemand schaut länger als zwei Sekunden auf dieses Bild, denn es ist einfach zu peinlich, zu grauenvoll – es ist Gold wert. Außerdem fand Gabriele damals durch meinen Diebstahl endlich einen Grund, sich einen neuen Führerschein ausstellen zu lassen. Dass sie mit ihrem alten inzwischen durch halb Deutschland getourt ist, ahnt sie nicht, und das ist auch gut so, schließlich hat sie nichts zu befürchten. Wenn ich als Gabriele Kronenberg unterwegs bin, benehme ich mich anständig, und das oberste Gebot, nicht aufzufallen, lautet immer und überall korrekt zu bezahlen. Mit meinen 50 Euro im Rucksack dürfte ich allerdings nicht weit kommen – womit wir beim nächsten Problem angelangt wären. Seit vorgestern Abend scheine ich geradewegs zu einem Problem-Magneten mutiert zu sein. Vielleicht sollte ich mich patentieren lassen: Stellt euch neben mich, und zack!, seid ihr alle eure Sorgen los. Alternativ könnt ihr auch einfach diejenigen um die Ecke bringen, die euch auf den Keks gehen. Legt sie in meinen Kofferraum, und die Sache ist geritzt, ha, ha!
    Mir flattern wieder die Nerven. Ehe es noch schlimmer wird, sollte ich die finanziellen Dinge geregelt haben. Aber wie? Geldautomaten sind für mich tabu, denn sollte mir die Polizei auf den Fersen sein, würde ein Blick auf meine Kontenbewegungen reichen, und sie bräuchten mich nur noch einzusammeln. Also bleibt mir keine andere Wahl, ich muss mal wieder kreativ werden.

    Die Bar des eigenen Hotels ist kein guter Ort für mein Vorhaben, weshalb ich in eine Weinstube einkehre, in der bereits reger Betrieb herrscht. Halb sieben, Zeit für den Feierabendschoppen.
    Beim Betreten des Lokals checke ich mit einem Blick die Situation: Größe und Zuschnitt des Schankraums, Verteilung der Tische, Lage der Theke, Anzahl der Gäste. Vor allem die

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